Nachdem Ibrahim Abdel Fatah zwei Jahre des Hungerns und des Kämpfens im palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk im syrischen Damaskus erduldet hatte, fielen die Jihadisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) vergangene Woche dort ein und schlugen Menschen vor seinen Augen die Köpfe ab. Das war zu viel. Er floh und blickte seitdem nicht mehr zurück.

"Wir hatten im Fernsehen von ihrer Grausamkeit gehört, aber als wir es selbst sahen... Ich kann Ihnen sagen, deren Ruf ist wohlverdient", sagt der 55-Jährige, der nun mit seiner Frau und den sieben Kindern Zuflucht in einer Schule in Tadamun gefunden hat, einem Stadtteil der syrischen Hauptstadt, der von der Armee gehalten wird. "Sie haben Kinder direkt vor ihren Eltern ermordet", fügt der dürre und blasse Mann hinzu.

Inferno

Die evakuierte Schule beherbergt derzeit 98 Menschen, 40 davon Kinder. In drei Klassenzimmern drängen sich die Flüchtlinge auf am Boden liegenden Matratzen. Ein Sprecher der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) gibt an, dass rund 2.500 Menschen Yarmouk vor dem IS-Angriff hätten verlassen können. Seither hat sich das Lager in das verwandelt, was UN-Generalsekretär Ban Ki-moon als "innersten Kreis der Hölle" im Inferno des syrischen Bürgerkriegs bezeichnete. Mehr als 15.000 Menschen schafften es nicht mehr, sich vor dem Einmarsch der Islamisten in Sicherheit zu bringen.

Yarmouk war einst ein belebter Stadtteil im Süden von Damaskus, in dem rund 160.000 palästinensische Flüchtlinge und Syrer Seite an Seite lebten. Doch das war bevor das Land ab 2011 in einen Strudel von Aufständen und schließlich in den Bürgerkrieg gerissen wurde. Ende 2012 wurde das Viertel zum Schlachtfeld zwischen Rebellen und Regierungstruppen, seit über einem Jahr nun ist es vollkommen von den Kampfhandlungen eingeschlossen.

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Großbritannien waren schon vor der jüngsten Offensive der Islamisten beinahe 200 Menschen in Yarmouk an Hunger oder mangelnder medizinischer Versorgung gestorben. Dennoch blieben viele, nicht zuletzt aus Mangel an Alternativen.

Bomben und Hunger

"Ich wäre geblieben, trotz der Bomben und des Hungers", sagt Umm Usama. "Es war schrecklich, wir aßen Gras. Aber immerhin war es unser Zuhause". Für die 40-Jährige war die Ankunft des "Daesh", wie sie den IS bei seiner arabischen Abkürzung nennt, "gleichbedeutend mit Zerstörung und Massaker". "Ihr Verhalten ist unmenschlich und ihre Religion ist nicht die unsere", sagt sie mit eingefallenen Augen vor dem Schuleingang.

In den Klassenräumen ist kaum Gepäck der Geflohenen zu sehen - die Familien konnten bei ihrer hastigen Flucht kaum etwas mitnehmen. Die 19-jährige Nadia hält ihr zwei Monate altes Baby auf dem Arm und sagt, ihr Ehemann habe es nicht mehr geschafft, mit ihnen zu flüchten. Schutz vor den Scharfschützen suchend hätten sie und das Baby eng an Hauswände gedrückt es aus Yarmouk heraus geschafft.

"Alles hat sich geändert als der IS kam", sagt die 47-jährige Abir, die ihr gesamtes Leben in dem Lager verbrachte. "Vorher hatten wir keine Angst vorm Tod", denn damals hätten die Rebellen die Zivilisten bei Kämpfen immer in Schutzunterkünfte gebracht.

"Ich sah zwei Daesh-Kämpfer mit einem abgeschlagenen Kopf spielen, als wäre es ein Fußball", sagt der Amjad Jaakub, unter dessen Baseball-Cap ein geschundenes Gesicht hervor blickt. Die IS-Kämpfer kamen zu ihm nach Hause, wo sie den politisch aktiven Bruder des 16-Jährigen suchten. "Sie schlugen mich, bis ich zusammenbrach und ließen mich zum Krepieren liegen", erzählt Amjad.