Andreas Scheuer hört und sieht sich immer noch gerne reden. Statt im Bundestag plaudert der einstige deutsche Verkehrsminister jetzt in Abflughallen von Terminals wie Kuala Lumpur und postet die Smartphone-Videos auf Facebook. Dass er nun aber Angeklagter ist in Sachen Pkw-Maut kommentiert Scheuer dort lieber schriftlich.

Anklage wegen uneidlicher Falschaussage

Knapp 17 Monate nach seinem Abschied aus der großen Politik hat das Landgericht Berlin Scheuer wegen uneidlicher Falschaussage angeklagt. Der Vorwurf: Er habe sich am 2. Oktober 2020 vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags „bewusst wahrheitswidrig“ geäußert. Übersetzt: Scheuer soll vorsätzlich gelogen haben.

Hintergrund ist eine der teuersten und absehbarsten politischen Affären der Ära Angela Merkel (CDU). Als „Ausländer-Maut“ hatten im Bundestagswahlkampf 2013 der damalige CSU-Vorsitzende Horst Seehofer und sein Generalsekretär Alexander Dobrindt, aktuell Bundesinnenminister, die Pkw-Maut erfunden. In Bayern, an der Grenze zu Österreich, war sie durchaus ein Schlager. Die vielen Pendler dort ärgern sich seit Einführung 1997 über das „Pickerl“: die Gebührenpflicht fürs Benutzen der Autobahnen der Nachbarn.

Doch mit Veröffentlichung der Revanche-Idee waren auch sofort die Warnungen in der Welt: Abkassieren nur von Ausländern verstoße gegen EU-Recht. Die CSU blieb stur, kaperte in den Kabinetten Merkel III und IV das Verkehrsministerium — und machte sich ans Werk, zunächst mit Dobrindt, dann mit Scheuer. Ersterer war schlau genug, die Maut nicht durchzuziehen.

Scheuer indes gab Gas. Obwohl Österreich gegen die inzwischen in „Infrastrukturabgabe“ umgetaufte Gebühr vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklagt hatte. Am 18. Juni 2019 urteilten die Luxemburger Richter im österreichischen Sinn: Die deutsche Maut sei rechtswidrig, weil sie praktisch allein Halter und Fahrer von Autos belaste, die in anderen EU-Staaten zugelassen sind. Deutschen nämlich sollte die Gebühr via Minderung der Kfz-Steuer erstattet werden.

Dumm für Deutschland: Scheuer hatte bereits Verträge mit Betreibern gemacht, dem deutschen Ticket-Spezialisten CTS Eventim und der österreichischen Kapsch TrafficCom. Die verlangten nun den vorgesehenen Schadenersatz: den Bruttounternehmenswert, der auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt wurde.

Scheuer wies alle Schuld von sich, der Bundestag setzte einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) ein. Dort erklärte Scheuer an jenem 2. Oktober 2020, noch als Minister, ein Angebot der Betreiber, die Verträge erst nach dem EuGH-Urteil zu unterzeichnen, sei ihm nicht erinnerlich. Die Vertreter von Eventim und Kapsch hatten ausgesagt, ihm exakt das gemacht zu haben.

Und so kommt Scheuer, nach 38 Monaten Ermittlungen der Berliner Staatsanwälte, in Sachen Maut doch noch vor Gericht. Ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue zu Lasten des Staates hatte die Staatsanwaltschaft Anfang 2020 abgelehnt; ihr fehlten ausreichende Verdachtsmomente.

Die Republik sah das anders; schon vor Beginn des PUA hielten sechs von zehn Regierten Scheuer für rücktrittsreif. Da hatte der Bundesrechnungshof dem Minister Verstöße gegen das Vergabe- und Haushaltsrecht bescheinigt. Und indirekt stand Scheuer bereits vor Gericht. Die Betreiber hatten Deutschland auf Schadenersatz verklagt. Mitte 2023 einigte man sich auf einen Vergleich: 243 Millionen Euro für Eventim und Kapsch, dazu kamen mindestens gut 20 Millionen Euro Prozesskosten.

Und Scheuer behauptete weiter, er habe nichts falsch gemacht. Das schreibt er auch jetzt. Auf Facebook. „Gegen diesen unbegründeten Vorwurf werde ich mich mit aller Kraft zur Wehr setzen und meine Unschuld verteidigen.“ Denn: Die Anklage „ist für mich nicht nachvollziehbar und macht mich betroffen“. Dem Staatsanwalt wirft Scheuer vor, „genau das so genannte mediale ,Sommerloch’ für die Anklageerhebung“ zu wählen. Außerdem findet der Ex-Minister, es gehe gar nicht „um das Scheitern“ der Maut: „Dafür habe ich die politische Verantwortung — auch für andere — bereits übernommen.“

„Habe großes Vertrauen in Rechtsstaat“

Im Regierungsviertel wie in der Republik wird das sehr breit sehr anders gesehen. Und natürlich kocht auch sofort wieder hoch, dass Scheuers Handeln ja schon einmal fast, wie man in Bayern sagt, „g’richtsmaßi’“ war. Die Staatsanwaltschaft seiner Heimatstadt Passau ermittelte 2006 gegen ihn wegen möglichen Missbrauchs eines akademischen Titels. Er hatte als „Dr. Andreas Scheuer“ bundesweit Wahlkampf gemacht — obwohl sein 2004 an der Karls-Universität Prag erworbener „kleiner Doktorgrad“ allein in Bayern und Berlin zum Gebrauch dieses Titels berechtigt.

Seitdem zeichnet Scheuer ohne den Doktor. Und teilt jetzt mit: „Ich habe großes Vertrauen in unseren Rechtsstaat.“ Immerhin daran erinnert er sich.