Das von der US-Regierung verhängte Einreiseverbot wegen angeblicher Zensur amerikanischer Online-Plattformen betrifft auch die Leiterinnen der deutschen Organisation HateAid, die sich gegen Hass im Netz engagiert. Betroffen sind die beiden Geschäftsführerinnen Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon, wie das US-Außenministerium am Dienstag (Ortszeit) auf X mitteilte. Ebenfalls von den Sanktionen betroffen ist demnach der frühere französische EU-Kommissar Thierry Breton aus der Partei von Emmanuel Macron.

Breton gilt als Architekt des EU-Gesetzespakets Digital Services Act, der Online-Plattformen reguliert. Außerdem nannte das US-Außenministerium zwei weitere Betroffene: den Gründer der Organisation Center for Countering Digital Hate, Imran Ahmed, und die Gründerin der Organisation Global Disinformation Index, Clare Melford. Beide setzen sich gegen Hass im Netz und gegen Desinformation ein.

Das Ministerium hatte die Namen der fünf Betroffenen nicht sofort mitgeteilt. Die Rede war zunächst bloß von „radikalen Aktivisten“ und „instrumentalisierten“ Nichtregierungsorganisationen, die Zensurmaßnahmen durch ausländische Staaten vorangetrieben hätten. Sie sollen versucht haben, US-Plattformen zu zwingen, „amerikanische Standpunkte“ zu unterdrücken, die sie ablehnten.

US-Vorwürfe „inakzeptabel“

Die deutsche Justizministerin Stefanie Hubig wies am Mittwoch die Vorwürfe der US-Regierung als inakzeptabel zurück. „HateAid unterstützt Betroffene von rechtswidriger digitaler Hassrede“, sagte die SPD-Politikerin in Berlin. Die Organisation leiste einen wichtigen Beitrag dazu, dass Persönlichkeitsrechte auch im digitalen Raum geschützt werden. Wer die Arbeit von HateAid als Zensur bezeichnet, „stellt unser rechtsstaatliches System falsch dar“, führte Hubig aus. Sie erklärte, dass HateAid Betroffene unterstützt, aber keine Meinungsäußerungen verbietet.

„Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden“, so die Politikerin weiter. Die Maßnahmen der Regierung von US-Präsident Donald Trump „zeigen, dass das zivilgesellschaftliche Engagement mächtigen Plattformen unbequem ist“. Die Geschäftsführerinnen hätten ihre „Unterstützung und Solidarität“, stellte sie klar.

Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) in Deutschland fördert nach eigenen Angaben seit 2020 eine bedarfsgerechte Beratung durch HateAid für Betroffene von digitaler Gewalt. Die Entscheidung, ob und in welcher Höhe Organisationen gefördert werden, treffe final der Haushaltsgesetzgeber - also: der Bundestag. Das Ministerium habe auf die Geschäftsführung von HateAid keinen Einfluss.

„Ideologen in Europa“

US-Außenminister Marco Rubio hatte zuvor auf X geschrieben: „Viel zu lange haben Ideologen in Europa organisierte Bemühungen angeführt, um amerikanische Plattformen dazu zu zwingen, amerikanische Standpunkte zu bestrafen, die ihnen nicht passen.“ Unter Präsident Donald Trump werde die US-Regierung „exterritoriale Zensur“ nicht länger tolerieren und Einreiseverbote gegen „führende Persönlichkeiten des globalen Zensur-Industrie-Komplexes“ einführen. Man sei bereit, die Liste zu erweitern, wenn es keine Kurskorrektur gebe.

Rubio und andere US-Regierungsvertreter hatten in der Vergangenheit schon mehrfach angebliche Internetzensur in Europa kritisiert. Hintergrund war eine Entscheidung der EU-Kommission, wonach die Plattform X des Milliardärs Elon Musk wegen Transparenzmängeln eine Strafe von 120 Mio. Euro zahlen muss. Die Entscheidung löste in den Vereinigten Staaten heftige Reaktionen aus. Rubio sprach auf X von einer „Attacke auf alle amerikanischen Tech-Plattformen und das amerikanische Volk durch ausländische Regierungen“. Die Tage der Online-Zensur für Amerikaner seien vorbei.

Breton spricht von „Hexenjagd“

Breton verglich die vom US-Außenministerium verkündeten Sanktionen gegen ihn und vier weitere Personen mit der „Hexenjagd“ auf vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der McCarthy-Ära in den USA. Auf der Plattform X schrieb er: „An unsere amerikanischen Freunde: Die Zensur findet nicht dort statt, wo ihr sie wähnt.“ Breton und die französische Regierung erinnerten daran, dass der Digital Services Act der Europäischen Union vom EU-Parlament und allen Mitgliedstaaten mit großer demokratischer Mehrheit beschlossen worden sei, damit im Netz kein rechtsfreier Raum entstehe.

Das Gesetz finde in den USA auch gar keine Anwendung, betonte Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot. „Die Völker Europas sind frei und souverän und lassen sich von anderen keine Regeln für ihren digitalen Raum aufzwingen“, schrieb Barrot auf X. Deshalb verurteile Frankreichs Regierung die Sanktionen gegen Breton und vier weitere Persönlichkeiten.