Wohin geht er? Im Ankündigungsvideo für seine Ansprache an die libanesische Nation schreitet Hassan Nasrallah einmal quer durch den Raum. Er ist nur von hinten zu sehen. An der Wand hängt ein Plakat der Schiitenmiliz Hisbollah, deren Generalsekretär er ist. Viele Menschen in der Region warteten angespannt auf die Rede, um zu erfahren, ob die Terrorgruppe den Konflikt verschärfen werde. Während der Teaser kryptisch war, waren Nasrallahs Worte am Freitag dann recht deutlich.

Lob für Blutbad der Hamas

Es war sein erster öffentlicher Auftritt seit dem Ausbruch der Kämpfe zwischen Israel und der Hamas. Nasrallah begann seine Rede mit der Aussage, der Israel-Hamas-Krieg habe sich auf mehr als eine Front ausgeweitet. „Der islamische Widerstand der Hisbollah kämpft bereits seit dem 8. Oktober gegen Israel.“ Israel werde die Zerstörung der Hamas nicht erreichen, prognostizierte er. Auch von US-Drohungen wolle man sich nicht einschüchtern lassen. „Wenn ein umfassender Krieg ausbricht, werdet ihr Amerikaner mit euren Schiffen, euren Flugzeugen und euren Soldaten bezahlen“, drohte Nasrallah.

Der Hisbollah-Chef lobte das Blutbad der Hamas als „großartig und heilig“. Jedoch sei der Angriff „zu 100 Prozent palästinensisch“ gewesen, die Hisbollah habe nichts davon gewusst. Damit implizierte er, dass auch der Iran nicht vorher informiert worden sei. Zuvor hatte es die Vermutung gegeben, dass die Hamas bei der Angriffsplanung von außen unterstützt wurde.

Warnung vor Eskalation

Eine weitere Eskalation des Konflikts ist aus Nasrallahs Sicht eine „realistische Möglichkeit“, alles hänge aber davon ab, wie der Krieg im Gazastreifen weiter verlaufen werde. „Alle Optionen“ an der libanesischen Front würden offen bleiben. Mit einem konkreten großflächigen Angriff auf Israel drohte Nasrallah jedoch nicht.

Zwar gibt es seit Beginn des Krieges Gefechte am Zaun zwischen Israel und Libanon, doch nach Einschätzung von israelischen Sicherheitsexperten hat die Hisbollah die Grenze bisher noch nicht überschritten. Allerdings waren die Angriffe einen Tag vor der Ansprache intensiviert worden. Mit Blick auf die Nordgrenze wurde Israels Armee in den letzten Tagen nervös, man sei in „sehr, sehr hoher Alarmbereitschaft“, ließ ein Militärsprecher wissen. Auch vom Iran finanzierte Gruppen im Jemen hatten in den vergangenen Tagen mehrfach versucht, Israel anzugreifen. Schiitische Huthis schickten Raketen in Richtung Eilat, die Flugkörper wurden aber von Israel selbst oder von US-Schiffen abgefangen.

Nasrallah und das Spiel mit der Angst

Nasrallahs Situation ist kompliziert: Auf der einen Seite dürfte der Druck aus dem Iran, sich einzumischen, hoch sein, auf der anderen hat die Regierung des Libanons klargemacht, dass man keinen Krieg wolle. Zwar hat die provisorische Koalition in Beirut unter Milliardär Najib Mikati wenig Einfluss auf die Hisbollah, die Teil der Regierung ist, doch der Zustand des Libanons ist so erbärmlich, dass sogar seine Armee auf Finanzhilfe aus Katar angewiesen ist.

Nasrallah hat bereits den Ruf, für die verheerende Explosion im Hafen von Beirut 2020 verantwortlich zu sein und die Wirtschaft zerstört zu haben. Er kann es sich kaum leisten, den kleinen Staat in einen langwierigen Krieg zu zerren. Und so war seine Aussage, dass es bereits mehrere Fronten gebe, keine Ankündigung, sich einzumischen, sondern eher das Gegenteil. Wohin Nasrallah geht? Wahrscheinlich einfach zurück in seinen Bunker.