Das Gesundheitsministerium widerspricht der Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an der Verteilung von Impfstoffen unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Verhandlungen über die Verteilung seien "ausgewogen und transparent" gelaufen, sagte die Generalsekretärin des Ministeriums, Ines Stilling, laut dem ORF-Radio. Alle Mitgliedstaaten, also auch Österreich, hätten die Möglichkeit gehabt, freie Vakzinkontingente zu kaufen. Es gebe keine Basarmethoden.

Der Bundeskanzler hatte am Freitag scharfe Kritik an der Verteilung von Impfstoffen in der Europäischen Union geübt und den Verdacht von Nebenabsprachen einzelner Mitgliedsstaaten mit Pharmaunternehmen geäußert. Damit würde ein EU-Gipfelbeschluss verletzt, wonach die Impfstoffe gleichmäßig nach der Bevölkerungsanzahl an die Staaten verteilt werden sollen. Kurz verwies darauf, dass etwa Malta drei Mal so viele Impfstoffdosen pro Kopf erhalten habe wie Bulgarien. Österreich selbst sei nicht benachteiligt. Malta aber auch Deutschland wiesen die Vorwürfe zurück.

Jeder Mitgliedsstaat sei bei den Verhandlungen im Sommer 2020 gefragt worden, wie viel er von jedem bestimmten Impfstoff haben wolle, betonte Stilling gegenüber Ö1. Angebot sei zumindest ein Anteil an Dosen eines bestimmten Impfstoffs gemäß Anteil der Bevölkerung eines Mitgliedslandes an der EU-Gesamtbevölkerung gewesen. Jedes Mitgliedsland habe sich an jedem Impfstoff aber unterschiedlich viel gesichert. Es sei nicht nach dem Prinzip gegangen, wer zuerst oder am lautesten rufe, betonte Stilling. Die Impfstoffverteilung sei zudem laufend Thema im Ministerrat, so dass auch das Bundeskanzleramt laufend informiert sei. Seit Jänner gebe es in Österreich sogar einen eigenen Steuerungsausschuss zu Beschaffung und Lieferplänen unter Einbeziehung des Bundeskanzleramts, ergänzte Stilling.

Am Samstag wollte das Gesundheitsministerium zugleich nochmals betont wissen, dass "unser gemeinsames Ziel" sei, möglichst rasch und im europäischen Gleichklang zu impfen. "Prioritär sind dabei vor allem die über 65-Jährigen und die Risikogruppen." Die Impfkampagne sei von Anfang ein gemeinsames Projekt der Bundesregierung als eines der wichtigsten Vorhaben zur Bekämpfung der Pandemie gewesen. "Ziel muss in dieser entscheidenden Phase eine gerechte gleichberechtigte Aufteilung der Impfstoffe innerhalb der EU für die Sicherstellung einer gleichzeitigen Impftätigkeit sein. Das ist das gemeinsame Bemühen des Gesundheitsministeriums und des Bundeskanzleramtes. Daher muss die Europäische Union jetzt sicherstellen, dass in Zeiten von Impfstoff-Knappheit alle Mitgliedsstaaten fair beliefert werden - nämlich so wie ursprünglich versprochen, und alle gleich viel an Impfstoff pro Person erhalten. In Zeiten neuer Virus-Varianten ist es außerdem notwendig, das gemeinsame Projekt der Impfstoffbeschaffung weiter zu entwickeln und so für zukünftige Herausforderungen bestens gerüstet zu sein."

EU-Gipfel zum Thema Impfstoff-Verteilung gefordert

Bundeskanzler Kurz hat unterdessen in einem gemeinsamen Brief mit vier Amtskollegen einen EU-Gipfel zum Thema Impfstoff-Verteilung gefordert. Damit alle EU-Staaten ihre Impfziele für das zweite Quartal erreichen, solle EU-Ratspräsident Charles Michel "so bald wie möglich" einen Gipfel abhalten, heißt es in dem am Samstag veröffentlichen Schreiben der Regierungschefs von Österreich, Tschechien, Slowenien, Bulgarien und Lettland an die EU-Spitze.

Das Schreiben an Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wiederholt im Wesentlichen die von Kurz am Freitag in einer Pressekonferenz gemachten Aussagen. Kurz und seine Amtskollegen Andrej Babis (Tschechien), Janez Jansa (Slowenien), Bojko Borissow (Bulgarien) und Krisjanis Karins (Lettland) berichten, sie hätten "in den vergangenen Tagen entdeckt", dass die Lieferungen der Impfstoffdosen durch die Pharmafirmen nicht entsprechend dem Bevölkerungsschlüssel erfolgen.

"Wenn dieses System so weitergeht, würde das bis zum Sommer riesige Ungleichheiten unter den Mitgliedsstaaten schaffen und vertiefen. So würden einige in wenigen Wochen die Herdenimmunität erreichen können, während andere weit zurückblieben", beklagten die fünf Regierungschefs. "Aus unserer Sicht widerspricht das nicht nur unserer Vereinbarung, sondern auch dem Geist der europäischen Solidarität."

Kurz telefonierte in der Sache auch mit dem portugiesischen Ministerpräsidenten Antonio Costa: "Ich habe mit dem portugiesischen Ratsvorsitzenden Antonio Costa gesprochen und ersucht, eine gemeinsame europäische Lösung zu finden", wird Kurz dazu in einer Stellungnahme zitiert, welche das Bundeskanzleramt der APA am Samstag übermittelt hat. Portugal ist derzeit EU-Vorsitzland.

Von den fünf Unterzeichnern des Schreibens an Michel und von der Leyen sind drei (Bulgarien, Tschechien und Lettland) bisher schlechter ausgestiegen als bei einer konsequenten Verteilung der Impfdosen nach der Bevölkerung. Slowenien und Österreich haben so viele Dosen erhalten wie es ihrer Bevölkerungsanzahl entspricht. Kroatien, das in der bisherigen Bilanz mit -27 Prozent an drittletzter Stelle liegt, schloss sich dem Schreiben nicht an. Der kroatische Premier Andrej Plenkovic äußerte am Freitag bei einem Besuch in Brüssel laut einem ORF-Bericht sogar Unverständnis für den Vorstoß des Kanzlers. Es komme ganz einfach darauf an, welches Land bei welchem Hersteller bestellt habe, rechnete Plenkovic vor Journalisten vor.

Malta und Deutschland wiesen Kritik zurück

Malta wies die Kritik des Kanzlers am Freitag ebenso zurück wie Deutschland. "Es ist vereinbart, dass die Verteilung der Impfstoffkontingente zwischen den Mitgliedsstaaten grundsätzlich nach dem Bevölkerungsanteil erfolgt", sagte ein deutscher Regierungssprecher auf Anfrage von Reuters. "Für den Fall, dass Mitgliedsstaaten die ihnen zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, wurde ein Verfahren etabliert, das anderen Mitgliedsstaaten den 'Aufkauf' dieser nicht abgenommenen Dosen ermöglicht", fügte er hinzu. Auch dabei würden die Bestellungen nach demselben Verfahren verteilt. "Wenn ein Mitgliedsstaat dabei keine Dosen bestellt, erhält er auch nichts." Ähnlich hatte sich zuvor auch die EU-Kommission geäußert.

Die FPÖ kritisierte Kurz für sein "verzweifeltes EU-Bashing". Dieses sei "unglaubwürdig". "Im November noch applaudierte der Kanzler im Rahmen einer Videokonferenz der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die von der Impfstoffbeschaffung als einer der großen Erfolgsgeschichten der EU sprach", erklärte Klubobmann Herbert Kickl am Samstag in einer Aussendung. "Nur einen Tag nach dem Bekanntwerden einer für den Kanzler katastrophalen Umfrage, in der fast zwei Drittel aller Befragten dem von der Regierung hauptsächlich eingekauften Impfstoff von AstraZeneca misstrauen, hat Sebastian Kurz zufällig die Schuld der EU entdeckt", heißt es in der FPÖ-Aussendung.