Die EU-Staats- und Regierungschefs - darunter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) - haben am Donnerstagabend keine Fortschritte im Konflikt mit Ungarn und Polen über die Blockade des EU-Budgets für die Jahre 2021 bis 2027 und des damit verknüpften Corona-Aufbaufonds erzielt. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als Vertreterin der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gab zu Beginn nur einen kurzen Überblick über den Stand der Dinge.

Zur Budgetblockade durch Polen und Ungarn hätten sich neben Merkel und EU-Ratspräsident Charles Michel nur die Regierungschefs von Ungarn (Viktor Orban), Polen (Mateusz Morawiecki) und Slowenien (Janez Jansa) geäußert, hieß es in Ratskreisen. Orban und Morawiecki hätten ihre Standpunkte verdeutlicht, Jansa hatte bereits im Vorfeld beiden Ländern seine Unterstützung signalisiert. Es sei über das weitere Verfahren gesprochen worden, als nächstes seien die EU-Botschafter am Zug, hieß es. Ungarn und Polen wehren sich dagegen, dass die Auszahlung von EU-Mitteln künftig an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft werden soll.

Aus dem Umfeld von Michel hieß es, man unterschätze nicht die Ernsthaftigkeit der Lage, man müsse die Vereinbarung des EU-Gipfels vom Juli so rasch wie möglich umsetzen. Das EU-Parlament setzte danach noch durch, dass Strafen zeitlich schneller verhängt werden können und dass schon dann gehandelt werden könnte, wenn wegen Brüchen der Rechtsstaatlichkeit ein Missbrauch von EU-Mitteln droht. Der ursprünglich auf dem Tisch liegende Vorschlag sah vor, Kürzungen von EU-Finanzhilfen nur dann zu ermöglichen, wenn Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit "in hinreichend direkter Weise Einfluss" auf die Haushaltsführung und die finanziellen Interessen der Union haben.

Kampf gegen Coronavirus

Der Gipfel wechselte rasch zum Hauptthema, die Koordinierung im Kampf gegen das Coronavirus. Man werde nun Schnelltests, Impfungen, die gegenseitige Anerkennung von Tests und die Abstimmung von Maßnahmen diskutieren, teilte ein Sprecher Michels mit.

Im weiteren Verlauf des Videogipfels sind Bundeskanzler Sebastian Kurz und der französische Staatschef Emmanuel Macron auch eingeladen, sich nach den jüngsten islamistischen Anschlägen in Wien und Frankreich zur Terrorismusbekämpfung zu äußern. Kurz will dem Vernehmen nach den EU-Staats- und Regierungschefs für ihre Solidarität danken, sich für ein gemeinsames europäisches Vorgehen gegen den politischen Islam aussprechen und auf die nächsten Schritte im Dezember verweisen. Am 9. Dezember will die EU-Kommission ein Anti-Terror-Paket, darunter mit Maßnahmen gegen terroristische Propaganda im Internet, vorlegen. Am 10./11. Dezember berät ein EU-Gipfel zum Terrorismus.

Seit Jahren in der Kritik

Ungarn und Polen stehen in der EU seit Jahren wegen der Einschränkung demokratischer Grundwerte und der Unabhängigkeit der Justiz am Pranger. Ungarns Blockadehaltung hat inzwischen auch wieder die Diskussion rund um einen möglichen Ausschluss der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz aus der Europäischen Volkspartei (EVP) aufgeheizt. Ministerpräsident Viktor Orbáns Fidesz ist bereits suspendiert, EVP-Präsident Donald Tusk legte nach den jüngsten Ereignissen jedoch einen Ausschluss nahe. Orban hatte am Mittwoch das Veto Ungarns gegen das EU-Budget und den Corona-Wiederaufbaufonds mit Verweis auf die Migrationspolitik gerechtfertigt.

"Wir sagen Ja zur Europäischen Union und Nein zu willkürlichen Kriterien zur Bewertung des sogenannten Rechtsstaats", schrieb der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vor dem Gipfel auf seiner Facebook-Seite. "Polen kann den (Rechtsstaats-)Mechanismus der EU in seiner jetzigen Form nicht akzeptieren." Denn er stelle "politische und willkürliche Kriterien" über "eine inhaltliche Bewertung".

Ein in Brüssel diskutierter Lösungsansatz sind deshalb politische Zusicherungen der anderen Mitgliedstaaten an Warschau und Budapest. Dagegen machte das Europäische Parlament bereits am Mittwoch klar, dass es "keine weiteren Zugeständnisse" bei dem über Wochen ausgehandelten Rechtsstaatsmechanismus machen werde.

Der deutsche Außenminister Maas sagte, auch in vielen Mitgliedstaaten werde "sehr sensibel darauf geachtet, wie mit dem Thema Rechtsstaatlichkeit umgegangen wird". Es gehe deshalb nicht nur um die Diskussion in Polen und Ungarn. "Es gibt auch viele andere Mitgliedstaaten, die nicht bereit sein werden, beim Thema Rechtsstaatlichkeit noch große Kompromisse einzugehen."

Lagarde fordert sofortiges Ende der Blockade

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, forderte ein sofortiges Ende der Blockade des Corona-Hilfsfonds. Das 750 Milliarden Euro schwere EU-Hilfspaket müsse "ohne Verzögerung in Kraft treten", sagte sie im Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments. Denn es ermögliche gerade Ländern, die geringe Haushaltsspielräume hätten, eine Unterstützung der Wirtschaft in der Pandemie.

Ungarns rechtsnationalistischer Ministerpräsident Viktor Orban hatte der EU am Mittwoch "Erpressung" vorgeworfen. Seiner Ansicht nach sollen EU-Gelder und der Rechtsstaatsmechanismus als Druckmittel benutzt werden, damit Mitgliedstaaten Migranten aufnehmen.

Auch für Ungarn sei es wichtig, dass die südlichen EU-Staaten Corona-Hilfsgelder "so schnell wie möglich" erhielten, sagte am Donnerstag Orbans Kabinettschef Gergely Gulyas. "Wenn es eine technische Lösung dafür gibt, die Zahlungen nicht mit Migrationsfragen verknüpft, kann die Regierung das akzeptieren." Gulyas antwortete dabei auf eine Frage, ob es möglich sei, den Corona-Hilfsfonds vom EU-Haushalt zu trennen. "In der Theorie" sei das machbar, sagte er. "Aber in der Praxis ist das sehr schwierig umzusetzen."

Rumäniens Ministerpräsident Ludovic Orban sah eine Einigung auch im Interesse Ungarns und Polens. "Die Blockade der Entscheidung über den Aufbaufonds trifft die gesamte EU, einschließlich der Bürger in Ungarn und Polen", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Die Rechtsstaatlichkeit müsse aber eingehalten werden. Denn sie sei "eine Garantie für jeden Steuerzahler, dass Geld korrekt und im öffentlichen Interesse ausgegeben wird".