Ein Neubeginn soll her, Emmanuel Macron spricht gern von „Neuerfindung“ oder vom dritten Akt seiner Amtszeit. Der dritte und vorläufig letzte Akt von Macrons Regentschaft steht unter dem Zeichen einer sozialen und grünen Wende. Der konservative Premierminister Édouard Philippe, ein ehemaliger Lobbyist der Atomindustrie, der für strenge Schuldenreduzierung steht, ist dafür nicht mehr der richtige Mann. „Neue Methoden“ verspricht der Präsident, dafür müsse eine „neue Mannschaft“ her. Der konservative Jean Castex ist jetzt Chef dieser neuen Mannschaft. Der 55-jährige Bürgermeister des südfranzösischen Örtchens Prades hat sich als „Monsieur déconfinement“ einen Namen gemacht. Ihm ist es gelungen, die harte französische Ausgangssperre allmählich und fehlerlos zu lockern. Ein Berater des Präsidenten wurde in dieser schwierigen Phase mit den Worten zitiert, Castex sei „ein Mann für alles“, ein Joker. Doch wie so oft wirft auch diese Personalentscheidung Macrons Fragen auf: Wie soll ausgerechnet ein Vertrauter von Ex-Präsident Sarkozy die grün-soziale Wende verkörpern?

Macron spricht von „Versöhnung“. Versöhnen muss er sich vor allem mit den Franzosen. Um das glaubhaft zu gestalten, kriecht er jetzt ein wenig zu Kreuze. Er räumt einen gewissen „Anteil an Ungeschick“ ein. Er sei oft zu forsch gewesen. „Ich habe manchmal gedacht, dass manche Reformen schnell gehen müssen“, sagt er in einem Interview mit „Le Parisien“, kurz bevor Premierminister Philippe und mit ihm die gesamte Regierung am Freitagmorgen zurückgetreten ist. Vor allem räumt er ein, nicht ausreichend mit den Sozialpartnern geredet und die Franzosen nicht abgeholt zu haben. „Manchmal habe ich den Eindruck erweckt, Reformen gegen die Menschen durchsetzen zu wollen“, so Macron.

Vor allem ein Versprechen hat Frankreichs Präsident nicht eingelöst: Das Macron’sche „weder links noch rechts“, das „sowohl als auch“, das den Kern seines politischen Versprechens bildete, hat sich in den drei Jahren seiner Amtszeit als Augenwischerei erwiesen. Durch schnelle, schmerzhafte Reformen und Steuergeschenke für Superverdiener und Industriekapitäne hat er sich den Ruf eingehandelt, nur der „Präsident der Reichen“ zu sein. Für Sozialschwache bewies er wenig Einfühlungsvermögen. Er klopfte flotte Sprüche, dass er nur die Straße überqueren müsse, um einen Job zu finden. Bei der Einführung der Ökosteuer auf Benzin bewies er, dass er von den Lebensverhältnissen der kleinen Leute keinerlei Vorstellung hat, und zog die Wut der unteren Mittelklasse auf sich, die sich während der Gelbwestenkrise gewaltsam Luft verschaffte.

Es war ein sehr rauer Wind, dem Regierungschef Philippe trotzen musste. Vermutlich verlässt er Matignon, den Amtssitz des Premierministers, erleichtert, womöglich sogar aus freien Stücken. Er wird jetzt erneut Bürgermeister der nordfranzösischen Hafenstadt Le Havre, wo er am Sonntag überlegen wiedergewählt wurde. Philippe hat das Vertrauen der Franzosen. Dreiviertel von ihnen, das haben jüngste Umfragen ergeben, hätten ihn gern weiter im Amt gesehen. Denn während Macron in der Coronakrise mit martialischem Vokabular den Krieg gegen das Virus ausrief, hat sich Philippe als sachlicher Macher erwiesen. Macrons Partei, als demokratische Graswurzelbewegung gegründet, hat nie richtig Wurzeln geschlagen. Viele haben sich enttäuscht abgewendet. Selbst Abgeordnete sind ausgetreten, haben eine neue Partei gegründet, sodass Macron im Parlament nicht mehr die absolute Mehrheit hat und LREM heute eher wie ein Fanclub des Präsidenten wirkt denn wie eine Partei.

Die grüne Welle der Kommunalwahlen hat Macron vor allem vor Augen geführt, dass die Grünen ihm auch bei den Präsidentschaftswahlen ernsthaft Konkurrenz machen könnten. Als Präsidentschaftskandidat war die Ökologie seine eigentlich schwache Seite. Durch die Gelbwestenkrise hat er schließlich gelernt, das grüne Politik ohne soziale Gerechtigkeit nicht funktionieren wird.