Noch kürzlich schien die Offensive des Kriegsfürsten Khalifa Haftar gegen Tripolis einem Erfolg nahe. Seine Kämpfer standen in den Vororten der libyschen Hauptstadt, die Kapitulation der international anerkannten „Regierung der Nationalen Übereinkunft“ (GNA) und ihrer Verteidiger schien nur noch eine Frage der Zeit. Mit dem Eintritt der Türkei in den libyschen Bürgerkrieg jedoch hat sich die militärische Lage dramatisch gewandelt. Haftars so genannte „Libysche Nationalarmee“ (LNA) musste eine Serie empfindlicher Rückschläge einstecken. Zunächst büßte sie westlich von Tripolis entlang der Küste sämtliche Stützpunkte ein. Dann verlor sie den strategisch wichtigen Fliegerhorst Al-Watiyah in der Nähe der Grenze zu Tunesien, von dem die meisten Angriffe auf Tripolis geflogen worden waren.

Am Wochenende nun ließen plötzlich auch die 1200 an Haftars Seite kämpfenden russischen Söldner der Wagner-Armee die Front im Stich und mussten auf die 650 Kilometer entfernte Militärbasis Al Jufrah im Süden ausgeflogen werden. Seitdem sind die Angreifer entscheidend geschwächt, schließlich bildeten die Scharfschützen und Artilleriespezialisten der russischen Schattenarmee bislang das Rückgrat der LNA-Streitkräfte.

Diese Wende vor den Toren von Tripolis verdanken die Verteidiger vor allem den überlegenen Kampfdrohnen Ankaras und den von Staatschef Recep Tayyip Erdogan rekrutierten syrischen Söldnern. Immer systematischer gerieten Haftars Nachschubwege unter Beschuss. Gleich reihenweise gingen die von Abu Dhabi gelieferten russischen Pantsir-Luftabwehrsysteme in Flammen auf. Diesen Triumph der Türkei aber werden die internationalen Verbündeten des 76-jährigen Kriegsherrn, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Russland, wohl nicht auf sich sitzen lassen. Die Emirate flogen in den letzten Tagen große Mengen neuer Waffen ein. Eine Haftar-Delegation reiste nach Kairo zu Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Und Russland verlegte ein gutes Dutzend moderner Kampfflugzeuge von seiner Luftwaffenbasis Khmeimim in Syrien nach Libyen, begleitet von markigen Worten.

"Werden Erdogans Projekt beenden"

Haftars Sprecher Ahmed Al-Mismari kündigte „große Überraschungen“ an und polterte, man werde „Erdogans Projekt in Libyen in wenigen Tage beenden“. Generalmajor Saqr Al-Jaroushi, Oberbefehlshaber der Haftar-Luftwaffe, erklärte, „der größte Luftkrieg in der Geschichte Libyens“ stehe bevor, alle türkischen Positionen seien „legitime Ziele“. Im Gegenzug drohte die Türkei mit „schwerer Vergeltung", bis hin zu direkten Angriffen auf das Hauptquartier des selbsternannten ostlibyschen Feldmarschalls.

Für die amtierende UN-Sondergesandte Stephanie Williams ist der libysche Bürgerkrieg damit an einem brisanten Wendepunkt angekommen und könnte in „einen echten Stellvertreterkrieg“ münden. Alle ausländischen Alliierten der libyschen Kriegsparteien setzten nur noch auf militärische Lieferungen, das Embargo der Vereinten Nationen werde in dreister Weise ignoriert, kritisierte die Diplomatin im UN-Sicherheitsrat. Man beobachte eine Aufrüstung mit immer ausgefeilteren und tödlicheren Waffen, ganz zu schweigen von der steigenden Söldnerzahl in beiden Lagern. Auf türkischer Seite kämpfen mittlerweile mindestens 6500 Söldner, auf Haftars Seite sind es 4000, schätzt der libysche Politikwissenschaftler Mohamed Eljarh.

Dennoch gibt es auch Signale, dass die ausländischen Widersacher es am Ende doch nicht zum großen Showdown kommen lassen und Libyen stattdessen in feste Einflusszonen aufteilen wollen. So halten sich in Kairo hartnäckig Gerüchte, die Emirate und Ägypten suchten nach einer Alternative zu dem altersstarren Haftar, dem sie einen Sieg und die Herrschaft über ganz Libyen nicht mehr zutrauen. Haftar sei „auf dem Weg nach draußen“, niemand setze mehr auf ihn, zitierte das ägyptische Online-Portal Mada Masr libysche und ägyptische Quellen.

Die Kämpfe beenden

Unklar ist auch, ob die nach Libyen verlegten russischen Kampfjets tatsächlich in die Kämpfe eingreifen oder vor allem der Türkei signalisieren sollen, ihre Militäroperationen zurückzuschrauben und mit Moskau nach einer Verhandlungslösung zu suchen. Russlands Außenminister Sergei Lawrow jedenfalls telefonierte dazu kürzlich demonstrativ mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlut Cavusoglu.

Beide Seiten seien sich einig, hieß es danach in Moskau, die Kämpfe müssten sofort beendet und der politische Prozess unter Leitung der Vereinten Nationen reaktiviert werden.