Susanne Wiesinger hat viel Staub aufgewirbelt mit ihrem Buch "Machtkampf im Ministerium", in dem die Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte politischen Einfluss auf Schulen beklagt. Bildungsminister Heinz Faßmann hat sie ja daraufhin freigestellt. Ihr offizieller 135-seitiger Tätigkeitsbericht, den sie zu ihrem Thema geliefert hat, ist da ein wenig untergegangen. Sie zitiert darin zahlreiche Studien und führt Beispiele aus ihren Gesprächen als Ombudsfrau an. Wiesinger ortet sechs Problemfelder an Schulen, insbesondere „Brennpunktschulen“:

1. Diskriminierung und Rassismus

260 Fälle von Diskriminierung an Österreichs Schulen meldete die Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen 2018 – ein Anstieg von rund 50 Prozent seit dem Jahr davor. Die Hauptgründe: Religion und Weltanschauung sowie ethischer Hintergrund und Hautfarbe. Wiesinger führt ein Beispiel aus einer Neuen Mittelschule an: Ein Vater habe sich beschwert, dass seine Tochter von Mitschülern diskriminiert und dazu gedrängt werde, einen Hijab zu tragen. Und Lehrerinnen hätten ihr erzählt, als Frau von männlichen Jugendlichen nicht ernst genommen oder wegen ihrer Kleidung gedemütigt zu werden.

Als Lösung schlägt Wiesinger schulinterne anonyme Befragungen und Verhaltensvereinbarungen, frühe Elterngespräche und ein rascheres Einschreiten bei Vorfällen vor. Mehr "Brückenbauer" als jetzt, selbst mit Migrationshintergrund, sollten an den Schulen zum Einsatz kommen. Auch solle der Umgang mit Diskriminierung in der Aus- und Fortbildung von Lehrern mehr Stellenwert bekommen.

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Tätigkeitsbericht Wiesinger

2. Gewalt, Drohung, Machtmissbrauch und Mobbing

Laut Auskunft der Bildungsdirektionen habe es im Schuljahr 2017/18 insgesamt 847 Anzeigen und 857 Polizeieinsätze wegen schwerer Gewaltvorfälle an Schulen gegeben. Am häufigsten wegen Körperverletzung, es folgen Raub und Diebstahl. Die meisten Fälle gab es in Wien, die zweitmeisten in der Steiermark – und verhältnismäßig am meisten in Polytechnischen Schulen und NMS. Die Dunkelziffer sei weit höher.

Ein häufig geschildertes Problem ist laut Wiesinger, dass Ermahnungen und Suspendierungen wenig bewirkten – es bedürfe härterer Maßnahmen, etwa finanzielle Sanktionen. Als Grund führt sie an, dass viele Schüler aus Familien kämen, in denen Gewalt vorkomme bzw. aus "kulturellen Kontexten mit deutlich anderer Konfliktkultur". Wiesinger zeigt auch ihr berichtete Fälle von Genitalverstümmelung oder Zwangsheirat bei "Urlauben" in den Herkunftsländern auf. Dagegen gebe es wenig Handhabe, schreibt sie, weil die Mädchen sich gegen die eigenen Familien stellen müssten – und deshalb auch ihre ursprünglichen Aussagen öfters zurückzögen.

Wiesinger fordert insgesamt mehr Gewaltprävention an Schulen, die auch den Umgang mit sozialen Medien umfassen müssen, in denen sich Jugendliche stark aufhalten. Und Eltern müssten stärker über ihre Rechte wie Pflichten aufgeklärt werden.

3. Radikalisierung und Extremismus

Lehrer hätten berichtet, im Geschichtsunterricht werde es schwieriger, Themen wie den Holocaust oder den Israel-Palästina-Konflikt zu behandeln. Vertreter der jüdischen wie der islamischen Gemeinschaft hätten sich an die Ombudsstelle gewandt und zunehmenden Antisemitismus wie auch Islamophobie beklagt. Für viele Lehrer sei nicht klar, wie sie mit bedenklichen Aussagen zu Themen wie Islamismus, Salafismus, Antisemitismus, Islamophobie und Rechtsextremismus umgehen sollen.

Geklagt werde auch über den Einfluss radikaler Imame und mancher islamischer Religionslehrer und Schülerheime. In manchen Wiener Moscheen würde gezielt gegen Schule – Projektwochen, Sexualunterricht und Schwimmunterricht – gearbeitet. Häufig höre Wiesinger den Wunsch nach mehr unabhängigen Kontrollen. Sie betont aber auch, dass es viele positive Beispiele islamischer Religionslehrer gebe.

Wertevermittung, Demokratieförderung und das Fach politische Bildung sollten laut Wiesinger eine größere Rolle vom Kindergarten an über die ganze Schulzeit spielen.

4. Einbindung der Eltern

Elementar ist laut Wiesinger, Eltern schon im Kindergarten den Nutzen frühkindlichen Spracherwerbs nahezubringen. Die Kommunikation mit Eltern werde jedoch schwieriger. Eltern mit Migrationshintergrund würden oft wegen schlechter Deutschkenntnisse den Kontakt mit Lehrern meiden. Andere wüssten nicht, was in österreichischen Schulen üblich sei. Wiesinger betont auch, dass Migranteneltern häufig hohe  Bildungsbestrebungen hätten, die jedoch teilweise im Lauf der Schulzeit der Kinder wegen negativer Erfahrungen abnehmen.

Geklagt werde bei der Ombudsstelle über respektloses Verhalten gegen Lehrerinnen. Schulleiter würden oft "zu nett" reagieren. Ein frühzeitiges Einschreiten bei Vorfällen sei nötig. Ein Problem sei gescheitertes Dolmetschen: Wenn zum Beispiel die Dolmetscherin kein Kopftuch trage und ein Vater sie daher ablehne.

Grundsätzlich würde mehr von Herausforderungen im Umgang mit Eltern aus zweiter oder dritter Migrantengeneration berichtet als mit Flüchtlingen, die erst wenige Jahre da sind, schnell Deutsch lernen und Interesse zeigen.

5. Religion, Ethik und Werte

Mit Beispielen will Wiesinger aufzeigen, "wie sehr Religionen und Wertvorstellungen den österreichischen Schulalltag bereits bestimmen": Eine Vorarlberger Lehrerin habe etwa geschildert, dass muslimische Kinder nicht zum Gipfelkreuz wandern wollten. Grundsätzlich würden einerseits immer weniger Kinder den Religionsunterricht besuchen, es komme aber durch unterschiedliche Religionen zu Spaltungen innerhalb von Klassen. Werte des Zusammenlebens müssten daher anders vermittelt – etwa mit Ethikunterricht – werden, um den Zusammenhalt zu stärken. Auch bedürfe es stärkerer religionsübergreifender Arbeit.

Am häufigsten seien ihr die Herausforderungen Teilnahme am Sport- und Schwimmunterricht, Fasten, Zwangsheirat sowie das Tragen des Kopftuchs genannt worden. Durch strenges Fasten seien Schüler teils zu erschöpft, um dem Unterricht folgen zu können. Hier fordert sie auch Schulleiter und Pädagogen, die Fürsorgepflicht wegen gesundheitsschädlicher Aspekte wahrzunehmen.

Wiesinger beschreibt den häufig geäußerten Wunsch, der Religionsunterricht sowie dessen Lehrer sollten stärker kontrolliert werden.

6. Chancengleichheit

Um "Brennpunktschulen" – Schulen, die viele Kinder mit Migrationshintergrund besuchen – zu vermeiden, fordert Susanne Wiesinger eine bessere Durchmischung von Klassen und Schulen. Schülerströme müssten gelenkt werden. Auch Lehrer an diesen Schulen seien stärker belastet. Viele Pädagogen wünschten sich mehr Rückendeckung von ihren Vorgesetzten, mehr Lehr- und Unterstützungspersonal und weniger administrative Aufgaben.