Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat 80 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs die Menschen in Polen um Vergebung für den deutschen Vernichtungskrieg mit Millionen Toten gebeten. "Es waren Deutsche, die in Polen ein Menschheitsverbrechen verübt haben", sagte er am frühen Sonntagmorgen bei einer Gedenkfeier in der polnischen Kleinstadt Wielun.

Steinmeier und Polens Staatspräsident Andrzej Duda
Steinmeier und Polens Staatspräsident Andrzej Duda © AP

Diese war am 1. September 1939 als erstes Ziel von der Wehrmacht angegriffen worden. "Ich verneige mich vor den Opfern des Überfalls auf Wielun. Ich verneige mich vor den polnischen Opfern der deutschen Gewaltherrschaft. Und ich bitte um Vergebung", sagte Steinmeier. Diese drei Sätze wiederholte er in seiner auf Deutsch gehaltenen Rede nochmals auf Polnisch. Steinmeier nahm gemeinsam mit dem polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda an der Gedenkveranstaltung teil.Zur selben Uhrzeit hatten 80 Jahre zuvor deutsche Sturzkampfbomber die militärisch völlig unbedeutende Stadt angegriffen. Sie zerstörten diese zu rund 70 Prozent, das Zentrum sogar zu 90 Prozent. Rund 1200 Menschen starben nach polnischen Angaben. Der Angriff erfolgte wenige Minuten vor dem Beginn des Beschusses der Danziger Westerplatte durch das deutsche Marineschiff SMS "Schleswig-Holstein".

Um 4.40 Uhr waren am Sonntag Alarmsirenen zu hören. Eine Erinnerung an das Heulen der deutschen Sturzkampfbomber vor 80 Jahren:

Der deutsche Überfall auf Polen war der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit geschätzt bis zu 80 Millionen Toten. Allein in Polen starben nach Schätzungen bis zu 6 Millionen Menschen.Duda dankte Steinmeier dafür, dass er nach Wielun gekommen sei und sich der Wahrheit stelle. Es sei nicht einfach, "denjenigen, die überlebt haben, in die Augen zu schauen, ihren Enkelkindern in die Augen zu schauen". Der Angriff auf die Stadt und die Zivilbevölkerung sei ein "Terrorangriff" und "grausame Barbarei" gewesen. "Wer hätte erwartet, dass so ein drastischer Akt von einer zivilisierten Nation verübt wird?"

Polen fordert Reparationen

Der polnische Präsident wiederholte seine kurz vor Steinmeiers Besuch erhobene Forderung nach Reparationen für die erlittenen Schäden nicht. Stattdessen sagte er zu Steinmeier: "Dass Sie hier sind, ist eine Form der moralischen Wiedergutmachung." Der deutsche Bundespräsident ging auf die Reparationsfrage, die sich aus Sicht der Bundesregierung nicht stellt, ebenfalls nicht direkt ein. Er sagte aber: "Unrecht und erlittenes Leid können wir nicht ungeschehen machen. Wir können es auch nicht aufrechnen."

Steinmeier betonte, die Vergangenheit vergehe nicht. "Und unsere Verantwortung vergeht nicht." Als deutscher Bundespräsident versichere er: "Wir werden nicht vergessen. Wir wollen und wir werden uns erinnern. Und wir nehmen die Verantwortung an, die unsere Geschichte uns aufgibt."

Versöhnung führte zu "vereintem Europa"

Trotz des erlittenen Unrechts und Leids habe Polen Deutschland die Hand der Versöhnung gereicht. "Wir sind zutiefst dankbar für diese ausgestreckte Hand, für die Bereitschaft Polens, den Weg der Versöhnung gemeinsam zu gehen", sagte Steinmeier. "Der Weg der Versöhnung hat uns in ein gemeinsames, vereintes Europa geführt." Diesen Weg wolle Deutschland bewahren und als guter Nachbar Polens weitergehen.

Steinmeier und Duda besuchten drei historische Gedenkorte in der Stadt. Unter anderem legten sie Blumen am Denkmal des zerstörten Allerheiligen-Krankenhauses nieder, das 1939 das erste Ziel der deutschen Sturzkampfbomber gewesen war.

Von Wielun aus fuhren beide Präsidenten nach Warschau, um dort an der offiziellen Gedenkveranstaltung zum Weltkriegsbeginn teilzunehmen. Dazu wurden auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), US-Vizepräsident Mike Pence, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und etwa 250 Gäste aus 40 Ländern erwartet.

Juncker und von der Leyen: "Europa, das ist Frieden"

Zum Jahrestag des Zweiten Weltkriegs haben EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und seine designierte Nachfolgerin Ursula von der Leyen den Wert eines geeinten und friedlichen Europas betont. "Heute werde ich daran erinnert, wie dankbar ich dafür bin, auf einem friedlichen Kontinent zu leben", schrieb Juncker am Sonntag auf Twitter.Es bleibe die ewige Pflicht der Europäer, sich dafür einzusetzen, dass es nie wieder Krieg gebe. "Europa, das ist Frieden." Juncker verfasste seinen Appell auf Deutsch, Englisch und Französisch.

Von der Leyen, die dem Luxemburger Anfang November an der Spitze der EU-Kommission folgen soll, schrieb auf Twitter: "Wir sollten uns gemeinsam erinnern, persönlich daraus lernen und zusammen für die Zukunft handeln. Für Frieden. Für Würde. Für Menschlichkeit. Das ist unsere Pflicht. Für immer." Sie sprach von einem "dunklen Kapitel europäischer Geschichte, dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Polen, verursacht von Nazi-Deutschland".