Mit Schmäh, Charme und Melone. Die Weste über den "Backheldfriedhof" gespannt, eine fette Virginier im Mund, die glasigen Augen halb offen, sitzt er selbstzufrieden auf dem Kutschbock. So zeichnete Erich Sokol Michael Häupl, damals wie heute Bürgermeister von Wien, Mitte der Neunzigerjahre. Mit dieser Karikatur wies der international erfolgreiche Karikaturist, ebenfalls Sozialdemokrat, aber kein Freund Häupls, diesem seine Rolle in der politischen Ikonografie Österreichs zu: die des Wiener Fiakers.

Mit diesem Klischee lebt und regiert Häupl nun schon über 16 Jahre - länger als jeder Wiener Bürgermeister vor ihm. Am Sonntag muss er seine absolute Mehrheit im Rathaus verteidigen.

Und wie kommt ein Wiener Fiaker daher? Polternd, laut, derb; einmal gemütlich, einmal grantig; wenn es darauf ankommt, ausgefuchst; er hat ein Ohr für die Sorgen der Leute, mehr noch: Er ist einer von ihnen. Häupl hatte die Karikatur vor der Veröffentlichung in der "Kronen Zeitung", dem Leibblatt der Wiener Hausmeister, nicht gekannt. Nach und nach freundete er sich mit dem Bild an, kultivierte es, kokettierte damit. Im Jahr 2000 sagte er in einem Interview mit der Stadtzeitung "Falter": "Der Fiaker ist ein Teil von mir."

Was sich außerhalb der Bundeshauptstadt vielleicht noch nicht überall herumgesprochen hat: der kleinere.

Kein echter Wiener

Michael Häupl ist nicht einmal ein echter Wiener. Er wuchs im niederösterreichischen St. Christophen auf, kam zum Studieren nach Wien, ließ sich erst später in Ottakring nieder. Der 16. Bezirk war einst Arbeiterviertel, heute leben hier, rund um den Brunnenmarkt Ausländer, Studenten und Kreative, weiter draußen, in Häupls Grätzel die Kleinbürger, noch weiter, am noblen Wilheminenberg reiche Jungfamilien.

Michael Häupl ist kein Prolet. Weder im positiven Sinn: Es stammt nicht aus einer stolzen Arbeiter-, sondern einer Lehrerfamilie. Seine Eltern wählten eher Schwarz denn Rot. Im negativen Sinn, den Bildungsbürger gerne strapazieren, ist Häupl schon gar kein "Prolo": Er ist belesen, gebildet, pflegt, vor allem im Sommer in der Toskana, einen gutbürgerlichen Lebensstil. Bei Wahlkampfauftritten, wie unlängst im Schicki-Micki-Lokal "Motto am Fluss", schüttelt er Karl-Kraus-Zitate aus dem Ärmel. Sein Lieblingsphilosoph ist der italienische Marxist Antonio Gramsci, der Held aller linken Kunststudenten. Karl Marx' Thesen in "Das Kapital" fand Häupl dennoch schon als roter Studentenführer "für jammervoll und selbst für damalige Verhältnisse nicht stimmig."

Häupl studierte Biologie und Zoologie, seine Dissertation schrieb er über die Schädelkinetik der Geckos. Nach dem Abschluss heuerte er als Kustos im Naturhistorischen Museum an - sein einziger Job außerhalb der Politik. Kehrt er heute dort hin zurück, wie vor einem Jahr zur Eröffnung einer Darwin-Ausstellung, wirken seine Augen plötzlich hellwach und er diskutiert mit Wissenschaftlern wie Theologen auf Augenhöhe. "Ich bin der Aufklärung verpflichtet", sagt er dann etwa: "Es gibt Ethik auch außerhalb der Religion."

"Häupl war als Junger ein sensibler Intellektueller", sagen seine Studienfreunde, in beiden Bedeutungen des Wortes: einfühlsam und empfindlich. In den letzten Jahren kommt die zweite Seite mehr zum Vorschein. Kritik, zumal öffentlich, verträgt er schwer; seine Gefolgschaft versteht jede Oppositionsarbeit als Majestätsbeleidigung; der Kreis, um den Chef wird kleiner.

Michael Häupl ist eigentlich keiner, der laut-polternd herumschreit. Seine Mitarbeiter behandelt er väterlich-streng, putzt sie aber nicht zusammen. Doch seine Wahlkampfsager sind legendär: 1999 hieß er seine politischen Gegner "mieselsüchtige Koffer", vor drei Wochen fragte er, ob die Wissenschaftsministerin "wo an´grennt" sei. Häupl hat sich für beides entschuldigt, aber ob ihm diese Beleidigungen tatsächlich spontan kommen? Dann hat er den Grant des Fiakers doch schon verinnerlicht.

Und wie macht sich Häupl als Populist? Zunächst versuchte er um jeden Preis, sich nach dem vermeintlichen Willen des Volkes zu richten: "Die Ausländer kommen nicht in den Gemeindebau, weil die Wiener das nicht wollen" sagte er Mitte der Neunzigerjahre, als er versuchte Jörg Haiders FPÖ "die Lufthoheit über die Stammtische" abzujagen. Damit verspielte er bei seinem ersten Antreten als Spitzenkandidat vorübergehend die absolute Mehrheit im Rathaus. Mit der Wende zu Schwarz-Blau schwenkte die Wiener SPÖ um und positionierte sich Schritt für Schritt als Integrationspartei. Zunächst zaghaft: Tue Gutes und rede nicht darüber! Später offensiver: Der damalige Wohnbaustadtrat Werner Faymann setzte eine EU-Richtlinie, die Zuwanderern die Tore der Sozialbauten öffnen sollte, wohldosiert um. In diesem Wahlkampf geriert sich Häupl als oberster Hausmeister: Wer sich an die "Hausordnung" halte, sei willkommen.

Das Drama der Zwillinge

Auf den letzten Metern hat Häupl sein Instinkt jedoch wieder im Stich gelassen. Als Mittwoch früh siebenjährige Zwillingsmädchen in Wien in Schubhaft genommen wurden, hörte man von ihm kein Wort. Als sie am Donnerstag mit ihrem Vater, aber ohne ihre Mutter, die im Krankenhaus liegt, in den Kosovo abgeschoben wurden - kein Mucks. Die Telefone in der SPÖ-Zentrale in Wien liefen heiß. Die Wiener mögen zu Fremdenfeindlichkeit neigen, aber Volksschulkinder einsperren? Da regt sich dann doch das Wiener Herz. Erst gestern nannte Häupl die Abschiebung Zielgruppen-gerecht im "Standard-Chat": "Grauslich!" Rote Wahlkampfstrategen fürchten, dass ihnen dies die entscheidenden Zehntelprozentpunkte kosten könnte, die sie für die Absolute brauchen.

Eines hat Häupl jedenfalls mit einem Fiaker gemeinsam: Er hat die Zügel in der SPÖ fest in der Hand. Was er erst diese Woche wieder bewiesen hat, als er eigenmächtig und über Nacht die Parteilinie zur allgemeinen Wehrpflicht änderte. Und er setzt mitunter auf das falsche Pferd. Der mächtige Wiener Landesvorsitzende suchte nicht nur den letzten Bundesparteichef Alfred Gusenbauer aus, sondern auch dessen Vorgänger Viktor Klima.