Beißender Qualm wabert über den Maidan. In dicken Wolken quillt er aus den Blechrohren der Feldküchen und Schlafzelte. Die Schwaden mischen sich mit dem Geruch von kaltem Rauch, der aus dem rußgeschwärzten Gemäuer des Gewerkschaftshauses dringt. Das markante Gebäude an der Nordseite des Kiewer Unabhängigkeitsplatzes war während der Straßenschlachten Ende Februar in Flammen aufgegangen.

Scharfschützen hatten damals in die Menschenmenge gefeuert. Die Erinnerung daran ist bis heute hellwach. Tausende Blumensträuße liegen im Dreck der Straßen. Anspannung und Unsicherheit sind nicht gewichen.

Auch drei Wochen nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch harren auf dem Maidan Hunderte kampfbereite Menschen aus. Sie wollen bleiben, "bis die Demokratie in unserem Land endgültig gesiegt hat". So erklärt es der 23-jährige Juri, der aus einem kleinen Ort bei Lemberg in der Westukraine stammt. Wann die Demokratie gesiegt haben wird, kann der hagere junge Mann nicht sagen. "Putin ist alles zuzutrauen", orakelt er. Russlands Präsident Wladimir Putin ist zum Hauptfeind der Revolutionäre geworden. Der Kremlchef hat Truppen auf die Krim geschickt und dort einer Marionettenregierung zur Macht verholfen. Morgen sollen die 2,4 Millionen Bewohner der Halbinsel über die Abspaltung abstimmen und damit einen Anschluss an Russland ermöglichen.

Schreckensszenario

Beobachter gehen von einer Mehrheit für die Eingliederung aus. Das moskautreue Scheinparlament hat bereits die Unabhängigkeit erklärt. Die westliche Staatengemeinschaft spricht von Annexion, einem völkerrechtswidrigen Gewaltakt. Juri sieht es genauso. "Putin raubt uns die Krim, und danach lässt er seine Panzer in den Osten der Ukraine einrollen", prophezeit der Mann.

Das ist die Angst, die auch in Europas Hauptstädten und Washington umgeht. Was wird aus den ostukrainischen Industriezentren Charkiw, Donezk und Dnipropetrowsk? In Donezk kam es zu Zusammenstößen zwischen prorussischen und regierungstreuen Kräften. Ein Mann starb. Gestern warnte Moskau, Kiew hätte "die Lage nicht mehr unter Kontrolle". Vorwand für eine Invasion? Russische Panzer "könnten in wenigen Stunden in Kiew sein", erklärt der Chef des Nationalen Sicherheitsrates der ukrainischen Übergangsregierung, Andri Parubi.

Auf dem Maidan sind die verbliebenen Revolutionäre bereit, für die Freiheit ihres Landes zu sterben. So zumindest lauten die Losungen der Banner, die über den Barrikaden wehen. "Meine Freunde sind unterwegs in den Osten", erklärt Juri. Die militärisch machtlosen neuen Machthaber haben eine Nationalgarde gegründet, die ihre bis zu 60.000 Kämpfer vor allem aus den "Selbstverteidigern" des Maidan rekrutiert, der Samoobrona, deren Befehlshaber Parubi war.

Parubi war es auch, der mit dem Anführer des ultranationalistischen Rechten Sektors, Dmitri Jarosch, jenes Abkommen torpedierte, das die gemäßigte Opposition mit Janukowitsch geschlossen hatte. Es ist dieser Flügel der ukrainischen Revolution, der es dem Kreml leicht macht, die neue Führung in Kiew propagandistisch als "Bande faschistischer Verbrecher" zu geißeln und sich ein Eingreifen im Osten der Ukraine offen zu halten.

An der Grenze hat die russische Armee mehrere Tausend Soldaten und schweres Gerät stationiert. Die russische Agentur Interfax berichtete von 4000 Soldaten. Parubi spricht von 80.000 bewaffneten Kämpfern in Grenznähe sowie von 270 Panzern, 380 Artilleriegeschützen und 18 Raketenwerfern. Das Wort vom Tod für die Freiheit bekommt vor diesem Hintergrund eine sehr reale Bedeutung.