Das Städtchen Brody umgibt eine Aura des alten Österreichs. In diesem Städtchen des damaligen habsburgischen Kronlandes Galizien wurde 1894 Joseph Roth geboren, der später mit dem „Radetzkymarsch“ den
literarischen Abgesang auf die Doppelmonarchie verfassen sollte und in dessen Werken sein Geburtsort immer wieder vorkommt. In Brody war 44 Jahre früher auch Adolf Kelsen geboren worden, dessen Sohn an einem außerordentlichen Werk für die junge Republik Österreich maßgeblich mitwirken sollte: an der Bundesverfassung.

Hans Kelsen, am 11. Oktober 1881 in Prag zur Welt gekommen, besucht in Wien die Schule, studiert Rechtswissenschaften, wird 1917 Universitätsprofessor. Schon von der Regierung des Kaisers in staatsrechtlichen Fragen beigezogen, wird Kelsen auch für das
republikanische Land zum Ratgeber in Verfassungsfragen. Staatskanzler Karl Renner, ein Sozialdemokrat, versichert sich Kelsens
Mitarbeit in Verfassungsfragen. Er wird dann auch
einer der wesentlichen Architekten der am 10. November in Kraft tretenden Bundesverfassung. Der parteifreie Kelsen wird als Sozialdemokrat punziert, als Richter am Verfassungsgerichtshof trifft er Entscheidungen, die den Christlichsozialen nicht passen. Etwa zugunsten der Wiederverheiratung nach einer Scheidung.

Kelsen wird 1929 nicht mehr als Verfassungsrichter nominiert. Nach Stationen in Köln, Genf und Prag emigriert der international anerkannte Rechtswissenschaftler in die USA. Wo er nach dem Ende der Nazi-Herrschaft in Europa bleibt. Er wird nach 1945 zwar zum korrespondierenden Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ernannt, zur Rückkehr nach Österreich lädt man Kelsen jedoch nicht ein. 1967 zeichnet ihn die Republik schließlich mit dem „Großen Silbernen Ehrenzeichen mit dem Stern“, der fünften
Ordensstufe, aus. 1971 gründete die Regierung das Hans-Kelsen-Institut, das Kelsens Erbe pflegt.

Einen deutschen Juristen mit speziellem Ruf ehrt Österreich 21 Jahre früher und höherwertiger: Hans Globke, Mitarbeiter des deutschen Kanzlers Adenauer, erhält den zweithöchsten Orden, das „Große Goldene Ehrenzeichen am Band für die Verdienste um die Republik Österreich“. In der Nazi-Zeit war Globke Spitzenjurist im Reichsinnenministerium, Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze und des Kommentars dazu.
Hans Kelsen stirbt am 19. April 1973 in den USA, seine Asche streut man über dem Pazifik aus.