Wladimir Putins Chef-Propagandistin Margarita Simonjan gab jüngst Einblick in ihre Gedankenwelt. Sie werde oft gefragt, was denn jetzt die russischen Kriegsziele seien, erzählte die Chefin des RT-Konzerns. Ihre Antwort: "Nehmen wir Kiew ein, oder nicht? Werden wir bei Berlin weitermachen oder vielleicht in Lissabon?", sagte Simonjan. "Niemand verrät die Details, denn Ziele verändern sich je nach den Fähigkeiten."
Man kann das angesichts der in diesem Kriegsjahr sichtbar gewordenen militärischen Schwächen Russlands als realitätsfremdes Geschwafel abtun, doch es zeigt, wie weit sich die Weltsicht russischer Eliten vom Konsens mit Europa entfernt hat. Und wie sehr sich nach Jahrzehnten des Dialogs die Sicherheitslage verändert hat.

Ein Friedensschluss zeichnet sich auf absehbare Zeit nicht ab. Der Kremlchef hat seine Haltung nicht verändert. Einzig akzeptables Ergebnis: eine Kapitulation der Ukraine. Die wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht geben. Die Ukrainer kämpfen weiter – um ihr Überleben. Kapitulation bedeutet, in den besetzten Gebieten der Gewalt der Besatzer ausgeliefert zu sein. Im Moment fehlt es beiden Seiten an Kraft, die Lage entscheidend zu drehen. Beide graben sich tiefer ein.

Das wahrscheinlichste Szenario für die nächsten Jahre: eine massiv abgesicherte Trennlinie im Osten der Ukraine, ein neuer Eiserner Vorhang, vom Norden Europas bis hinunter zum Schwarzen Meer. Belarus im russischen Block. Schweden und Finnland im Nato-Block. Frieden wird man das nicht nennen können, bestenfalls Waffenstillstand. Frieden wäre, wenn Ukrainer und Russen wieder miteinander könnten. Doch nach den ungeheuerlichen Verbrechen Russlands wird es wohl neue Generationen brauchen und den Brandtschen Kniefall eines russischen Präsidenten vor den Gräbern der Opfer in Mariupol, Butscha, Irpin und anderen Städten.