Hundert Tage erhält eine neue Regierung eigentlich bis zu einer ersten Zwischenbilanz. Deutschlands neue Ampel-Koalition wird diese Zeit nicht haben. Pandemiemanagement, Außenpolitik und der Umbau der deutschen Autoindustrie vom Verbrenner auf Elektromobilität. Die Regierung von Kanzler Olaf Scholz ist direkt gefordert, Konfliktpotenzial nicht ausgeschlossen.

Da ist zunächst Corona. Europa steckt mitten in der vierten Welle – und Deutschland mitten drin. Der scheidende Gesundheitsminister Jens Spahn verlor zuletzt zwar kräftig die Orientierung. Da kann es eigentlich nur besser werden. Doch vermittelte die angehende Regierung den Eindruck, sie interessiere sich mehr für die Koalitionsgespräche als für steigende Infektionszahlen. Spahns Fehler waren gestern. Das akute Management der verschleppten Krise obliegt nun der Regierung Scholz. Ein erster Stresstest. Auch für die Koalitionäre. In der Debatte über die Impflicht zeigt sich die FDP zurückhaltend. Auch gesellschaftlich birgt die Diskussion Spaltpotenzial. Die Fehler der mangelnden Vorbereitung auf den zweiten Corona-Winter sind längst gemacht. Ausbaden muss sie das Team Scholz.

Zweites Spannungsfeld: Außenpolitik. Nicht nur Russlands Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine ist besorgniserregend. Die US-Regierung verschärft ihren Sanktionskurs bei der Ostseepipeline Nordstream 2 und trifft damit eine echte Konfliktlinie der neuen Regierung. Die schwankt gegenüber Russland zwischen pragmatisch-realpolitischer Interessenpolitik (SPD) und einer wertebasierten Außenpolitik (Grüne). Reibungsflächen sind abzusehen – auch mit der Grünen-Basis.

Nächstes Konfliktfeld: Wirtschaft. Steigende Energiepreise treffen Verbraucher, dazu hohe Inflationsraten. Hinzu kommt der Umbau der Industrie. Die Klimawende stellt die Wirtschaft vor enorme Herausforderungen. Das Land lebt vom Auto – das aber fährt künftig elektrisch. VW-Chef Herbert Diess sinnierte schon öffentlich über den Verlust von 30.000 Stellen in Wolfsburg. In Braunkohlegebieten beklagen Kumpel den vorgezogenen Ausstieg. Klingt nicht gut für die schwindende Industriearbeiterschaft der Sozialdemokraten.

Die Ampel übernimmt ein Land im Krisenmodus. Sie hat sich deshalb für eine mutige Gegenerzählung entschieden und sich als Fortschrittsbündnis vorgestellt. Rot-Grün-Gelb – sozial, ökologisch und wirtschaftlich aufgeschlossen. Deutschland will der Welt beweisen, dass die Klimawende auch in einem Industrieland gelingen kann. Der coole Olaf Scholz hat sich im Wahlkampf als legitimer Erbe Angela Merkels inszeniert. Nun muss er eine Regierung mit zwei unerfahrenen Partnern führen.

Schon im Jänner übernimmt Deutschland den Vorsitz der G7. Gelegenheit für Scholz, sich auf der Weltbühne zu präsentieren. Merkel galt als Beherrscherin der Krisen. Macher oder Krisenkanzler – schon am Corona-Management wird sich das Image herauskristallisieren.