Im Juni 1918 kam es im Tonale-Gebiet, an der Grenze zwischen Südtirol und dem damaligen Königreich Italien, zu heftigen Kämpfen zwischen Italienern und Österreichern. Kaiser Franz Josephs Truppen versuchten, diesen Teil der Front des Ersten Weltkriegs zu durchbrechen, um in die Lombardei einzudringen. Nach den Kämpfen begruben die Italiener 94 österreichische Soldaten. Zwölf davon wurden 2022 in Cima Cady auf über 2000 Meter Höhe geborgen, 82 Leichen werden noch gesucht.

Nach der Grabstätte oberhalb des Tonale-Passes sucht seit Jahren Sergio Boem, ein 59-jähriger Bergsteiger und Heimatforscher. Der Enkel eines Offiziers im Ersten Weltkrieg, Ubaldo Ingravalle, hatte ein Tagebuch des Großvaters mit Informationen über ein Massengrab nahe dem Pass mit den Leichen Dutzender Soldaten entdeckt, die anlässlich der sogenannten „Operation Lawine“ am 13. Juni 1918 gefallen waren. Dank der Beharrlichkeit von Boem konnte bewiesen werden, dass die Informationen des Großvaters zutrafen und dass sich in einem der Granatlöcher, die oberhalb des Tonale-Passes zu finden sind, tatsächlich die Überreste gefallener Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee befanden.

Sergio Boem hat sich der Suche nach den gefallenen Soldaten verschrieben
Sergio Boem hat sich der Suche nach den gefallenen Soldaten verschrieben © PRIVAT

Weitere Überreste vermutet

Laut Boem sollen am Tonale-Pass weitere Überreste österreichischer Soldaten liegen. Das Massengrab mit weiteren 82 Leichen liegt angeblich an der Grenze zwischen dem Trentino und der Lombardei auf lombardischem Boden. Laut dem Tagebuch sollen am Tonale die österreichischen Soldaten, vor allem Ungarn, Bosnier und Rumänen, in einem Massengrab mit einem Durchmesser von mindestens zwölf Metern begraben sein. Boem beklagt das geringe Interesse seitens der lombardischen Behörden an der Suche nach dem Grab. „Ich empfinde es als moralische Pflicht, diesen Soldaten, die einst unsere Feinde waren, (...) einen Namen und ein würdiges Grab zu sichern. Das sehe ich als späte Entschädigung, die wir diesen jungen Soldaten schuldig sind“, erzählte Boem gegenüber der APA.

Nach den Untersuchungen von Boem, die in dem Buch „Sui prati del Tonale 94 stelle alpine“ (Auf den Wiesen des Tonal 94 Edelweiß) zusammengefasst sind, handelt es sich bei dem Sammelgrab auf lombardischem Boden um eines der größten Massengräber des Ersten Weltkriegs. Der Autor, der am Gardasee lebt, recherchiert nun schon seit Jahren. Er stützt sich dabei auf die Geschichte seines Großvaters und das 1500 Seiten umfassende „Historische Tagebuch“ des italienischen Alpenbataillons Valcamonica des 5. Alpenregiments, das auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs eingesetzt wurde, darunter auch am Tonale-Pass. Boem hofft, dass die zuständigen Behörden nun im Frühjahr die notwendigen Untersuchungen durchführen werden, um das Massengrab zu finden.

„Wir wollen verhindern, dass die Überreste der Soldaten von Menschen entdeckt werden, die in den Bergen auf der Suche nach Ausrüstungsgegenständen aus dem Ersten Weltkrieg sind, die bei Sammlern sehr begehrt sind“, berichtet Boem. Mithilfe zweier auf Militärrecht spezialisierter Anwälte, Mariapaola Marro und Carlo Stracquadaneo, bemüht sich Boem, dass die Suche nach dem Massengrab aufgenommen wird.

Italienische Stellungen am Tonale-Pass
Italienische Stellungen am Tonale-Pass © IMAGO

Forschung nach den Identitäten

Die Überreste der zwölf bereits geborgenen Soldaten werden in Trient aufbewahrt. Neben den Skeletten wurden auch Teile der persönlichen Ausrüstung der Soldaten gefunden, darunter Steigeisen, Stiefel, Gasmaskentaschen, Werkzeuge und andere teils persönliche Gegenstände. Deren Zustand lässt aber wenig Hoffnung, dass die Identität der Gefallenen ermittelt werden kann.

Die heikle Phase der Bergung und der archäologischen Untersuchung, die unmittelbar nach der Entdeckung 2022 begannen, wurden vom Trentiner Landesamt für Archäologie in Abstimmung mit dem italienischen Verteidigungsministerium koordiniert. Dank einer Zusammenarbeit zwischen der Provinz Trient, dem Wissenschaftsmuseum Muse und der Universität von Durham arbeiten in Trient derzeit etwa 15 britische Forscher, Experten in forensischer Anthropologie, an dem Projekt. Die ersten Informationen über die sterblichen Überreste der Soldaten deuten u. a. Schädelverletzungen durch Kugeln hin. Nach Abschluss der Untersuchungen werden die sterblichen Überreste an die italienische Gesellschaft zur Erhaltung der Kriegsgräber „Onorcaduti“ übergeben. Diese soll sie in Absprache mit dem Österreichischen Schwarzen Kreuz (ÖSK) in einem Soldatenfriedhof beisetzen.