Mama, müssen wir jetzt alle sterben? Das Coronavirus hat derzeit nicht nur die Nachrichtenlage fest im Griff, sondern konfrontiert Eltern auch mit unangenehmen Fragen: „Das Thema ist so präsent, dass man sich dem nicht entziehen kann – auch auf der Ebene der Kinder nicht“, sagt Ärztin und Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger. Schließlich leben Kinder nicht im luftleeren Raum und die mediale Durchdringung ist hoch: Szenen, die zuerst nur aus dem weit entfernten China bekannt waren, rücken immer näher: Italien, jenes Land, das viele Kinder aus dem Sommerurlaub kennen, steht mittlerweile still. Auch in Österreich häufen sich die Krankheitsfälle. Veranstaltungen werden abgesagt, einige Geschäfte bleiben zu.

Jetzt sind die Eltern gefordert

Wenn das Kind falsche Schlüsse zieht

Martina Leibovici-Mühlberger ist Ärztin und Psychotherapeutin
Martina Leibovici-Mühlberger ist Ärztin und Psychotherapeutin © KK

Kinder verstehen, dass ein Virus lebensgefährlich sein kann. Versuchen sie ihre Gedanken logisch zu ordnen, ziehen sie dabei aber nicht immer korrekte Schlussfolgerungen. Das hat eine verzerrte Realität zur Folge und führt schnell zu konfusen Ängsten. „Hört ein Kind zum Beispiel, dass insbesondere ältere Menschen vom Coronavirus betroffen sind, scannt das kindliche Bewusstsein daraufhin die Großeltern ab“, erklärt Martina Leibovici-Mühlberger. Und das Kind schlussfolgert eventuell: Alte Menschen sterben öfters. Die Oma ist alt. Muss die Oma also sterben? In solchen Fällen rät die Expertin, beruhigend auf das Kind einzuwirken und die Sorge wieder in die richtige Proportion zu rücken. Und das geht wie? Zum Beispiel, indem man dem Kind recht gibt, aber gleichzeitig darauf aufmerksam macht, dass eine Erkrankung mit den richtigen Maßnahmen vermieden werden kann: Denn die Oma verreist im Moment nicht, bleibt drinnen und wäscht sich auch regelmäßig die Hände.

Angst fördert nicht das Verstehen

Augenrollen und ein Schulterzucken, das Desinteresse signalisieren soll: „Interessiert sich ein Kind nicht für die Nachrichten, würde ich es in diesem Fall nicht mit den Informationen verfolgen“, sagt die Psychotherapeutin. Das entbindet Eltern trotzdem nicht von der Pflicht, auf die Einhaltung derHygieneetikette (Händewaschen nicht vergessen!) zu pochen. Dem Kind bei Nichteinhaltung seiner Pflichten mit Worten à la „in China sind aber schon viele gestorben“ zu drohen, sei keine Option. Angst fördert nicht das Verstehen.

Gefälschte Bilder, verdrehte Fakten

Studien bestätigen, dass sich Falschmeldungen viel schneller verbreiten als Nachrichten aus zuverlässigen Quellen. Gerade in Hinblick auf das Coronavirus kursieren in den sozialen Netzwerken viele Fake News. Eine Katastrophe, wenn man bedenkt, dass falsche Informationen bei Epidemien mit ansteckenden Krankheiten die Ausbrüche schlimmer machen können: „Uns macht die hohe Zahl von Gerüchten und Falschinformationen Sorge, die unseren Einsatz behindern“, mahnte die WHO letzte Woche.

„Mit älteren Kindern und Jugendlichen, die sich im Internet ihre Informationen und Wahrheiten holen, müssen Eltern deshalb in eine direkte, kritische und informierende Diskussion gehen“, formuliert es Martina Leibovici-Mühlberger und ergänzt: In jedem Fall sei das Coronavirus „ein guter Lehrfall, wie Medien wirken und Informationen fließen“. Und: ein guter Anlass, um „kritisch zu reflektieren und darüber nachzudenken, was dieses Informationsüberangebot mit einem selbst macht. Denn alleine wie oft man etwas hört, hat eine hohe Suggestionskraft.“

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