Ein bisschen unheimlich ist das schon, wenn der Experimentalmusiker Winfried Ritsch von seinem robotischen Klavierspieler die Rockband The Doors aus dem Bösendorfer hämmern lässt. Wenn die Saiten dann auch noch „When the Music´s Over“ zu singen beginnen, lässt man vor heller Faszination erst einmal den Mund offen. Freilich aber eröffnet eine solche komplexe Apparatur Komponisten ungeahnte Freiheiten und die Möglichkeit, ansonsten Unspielbares zum Klingen zu bringen. Das Grazer Ensemble Zeitfluss etwa wird mit den Komponisten aus den eigenen Reihen damit beim musikprotokoll die Gunst der Stunde nutzen.

Klingende Luftballons, unheimliche Lärmmaschinen, Klarinetten, die eine 2D-Animation steuern, ein langer finaler Abend, den man auch im Liegen auf sich einwirken lassen darf, oder ein Spaziergang durch die Nachwelt des ägyptischen Musikerpoeten Abdullah Miniawy - all das macht zur Hälfte des steirischen herbst auch abseits aller musikalischen Visionen neugierig, zur Halbzeit, wenn mp-Zeit angesagt ist. Längst sind Prozessästhetik und eine gewisse generative Kunst beim musikprotokoll angekommen und ist auch die kritische Freiheit zum Thema geworden: Grenzen oder neue Räume? Unter dem diesjährigen Motto „Spaces Of Freedom“ will man „die Freiheit von vielen Seiten beleuchten“, etwas, das wie die Quadratur des Kreises klingt.

Wobei freilich auch Künstliche Intelligenz, ob als „Pseudokreativität“ (Ritsch), Generierungsmittel oder Täuschung in den Katalog der mp-Perspektiven eingezogen sind. Das viertägige musikprotokoll, das als „Festival im Festival“ zum bereits 57. Mal im Rahmen des steirischen herbst stattfindet und sich unter der Leitung von Elke Tschaikner auch wieder markanter im experimentelleren Bereich profiliert hat, war wohl auch noch nie so zukunftsorientiert samt seinem didaktischen Background, der mit zahlreichen Talks und Workshops ausgestattet ist. Wie etwa unter dem vielversprechenden Titel „Wahrnehmung, Hören, Mimesis und Kritik“ an der Uni Graz. Eigentlich ein Pflichttermin für Hörer und Schreiber.

Spannungsgelandener Parcours

Die formale ästhetische Erweiterung verspricht schon von der bloßen Papierform her einen spannungsgeladenen Parcours, Spannung, die gut genährt von einem gerüttelt Maß an Sinnlichkeit scheint, aber nicht zuletzt auch darin liegt, ob viele Ideen und Projekte auch wirklich vermittelbar sind. Die Klangkünstler Daniel Szwed, Christina Ruf und Erik Emil Eskildsen, zusammen eines der beiden diesjährigen Artists in Residence-Projekte, wollen etwa die „Langsamkeit in der Musik erforschen“, um in Richtungen vorzustoßen, „die man zuvor nicht gesehen hat“. Wenn man das dann noch über das 48-kanalige Ambisonics Sound System in den Dom im Berg strömen lässt, wird wohl vom Rausch der Sinne zu berichten geboten sein.

Der „große Abend“ mit zwei Uraufführungen gehört natürlich dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien, dem „Hausorchester“ des engagierten Festivals, einem international so renommierten wie immer auch etwas vorsichtig rezipierten Klangfestival, das sich „eigentlich als Radiofestival versteht“, woran uns Mitkuratorin Susanna Niedermayer just am 100. Geburtstag des Radios erinnerte. Unter der Leitung von Roland Kluttig spielt das RSO unter anderem eine Komposition des Jazzmusikers George Lewis, der es einmal genau wissen wollte, wie das so ist mit den „Freiheiten einer kreolischen Dekolonialität“.

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