Es sind äußerst schwere, ja, eigentlich unvorstellbare Vorwürfe, mit denen sich die Band Rammstein seit einigen Tagen konfrontiert sieht. Anschuldigungen, deren Beschreibungen einem Thriller entsprungen sein könnten, am Wochenende durch das World Wide Web geisterten und letztlich auch von Medien aufgegriffen worden sind.

Eine junge Frau aus Irland reiste am vergangenen Montag zum Tourauftakt-Konzert der Band nach Vilnius (Litauen). Kurze Zeit später meldet sie sich auf ihrem Instagram-Account zu Wort. Sie behauptet, bei einer Backstage-Party mit der Band gegen ihren Willen Drogen verabreicht bekommen zu haben. Außerdem hätte sie Rammstein-Frontmann Till Lindemann schon davor zu Oral-Sex aufgefordert, was sie abgelehnt habe. Die Frau postete außerdem Fotos von ihrem Körper mit zahlreichen Blessuren. Ein großer, dunkelblauer Fleck zieht sich über ihre rechte Bauchseite. Auch am Rücken und im Rippenbereich sind Flecken sichtbar. Unter die Aufnahme schreibt sie: „Ich wurde beim Konzert unter Drogen gesetzt, auf der Pre-Party hatte ich nur zwei Drinks. Und Till gab jedem einen Tequila-Shot“. Sie könne sich nicht erinnern, woher die Verletzungen stammen.

Auf Twitter fertigt die Irin eine Art Gedächtnisprotokoll an. Begonnen habe alles bereits vor dem Konzert bei einer Pre-Party, bei der auch Till Lindemann, der Sänger der Band, anwesend gewesen sein soll. Ein Crew-Mitglied namens Joe Letz (Anm. Letz ist als Assistent mit auf Tour) hätte sie danach zur Seite genommen und erklärt, Lindemann wolle sie sehen.

Als die Rammstein-Show begann, hätte sie sich plötzlich immer unwohler gefühlt. „Die Erinnerungen verschwimmen, ich fühle mich wie ein menschlicher Zombie, singe, tanze, aber stolpere auch umher“, so die Frau. Inmitten des Sets (Fans sprechen unter anderem von einem DJ-Zwischenspiel beim Song „Deutschland“) soll sie dann Backstage geholt worden sein. In einem kleinen Raum (die Frau: „Vielleicht vier Menschen hätten hier Platz, so groß, wie eine Kabine“) wartet sie. Dann soll Lindemann erschienen sein. Sie habe laut Selbstaussage sofort gesagt, sie hätte kein Interesse an Sex. Lindemann soll dann, laut den Aussagen der Irin, genervt reagiert haben und wieder verschwunden sein. Danach soll sie wieder in die erste Reihe, der spezielle Bereich direkt vor der Bühne wird als „Row 0“  bezeichnet, zurückkehrt sein. Sie erinnert sich lückenhaft an eine Aftershow-Party, die sie mit der Hilfe einer anderen Frau verließ. Die Irin hätte sich zu diesem Zeitpunkt bereits übergeben müssen. Im Hotel bemerkt sie Blutergüsse an ihrem Körper. Die Nacht verbringt sie laut Selbstaussage hellwach. Sie muss sich übergeben, hat Schüttelfrost, Schweißausbrüche. Am nächsten Tag ruft sie Polizei und Rettung. Ein Drogentest, den sie selbst macht, fällt negativ aus. (Anmerkung: Liquid Ecstasy ist nur zwölf Stunden lang im Körper nachweisbar)

Rammstein reagierte

Auf Twitter und Instagram sammelt die Irin nun Mitteilungen von Frauen, die auf Rammstein-Konzerten ähnliche Erfahrungen gemacht hätten. Nachdem zuerst deutsche Boulevardmedien von den Vorfällen berichtet hatten, sah sich die Band schließlich veranlasst, zu reagieren. Auf Twitter schrieb Rammstein: "Zu den im Netz kursierenden Vorwürfen zu Vilnius können wir ausschließen, dass sich, was behauptet wird, in unserem Umfeld zugetragen hat. Uns sind keine behördlichen Ermittlungen dazu bekannt."

Im Netz wächst indes die Zahl an Frauen, die ähnliches schildern. Immer wieder fällt der Name einer scheinbar wichtigen Protagonistin. Ihr Name sei Alena Makeeva. Rammstein-Fans und Ex-Fans beschreiben die Russin als eine Art Agentin, die Frauen entweder für Aftershow-Partys castet oder aber Frauen Zutritt Backstage verschafft.

Die Schilderungen der verschiedenen Einsendungen erstrecken sich über einen langen Zeitraum. Es ist von einer systematischen Aftershow-Infrastruktur die Rede, von Frauen, die innerhalb kürzester Zeit völlig desorientiert und unkontrolliert wirken, von Orgien, Wutausbrüchen. Immer wieder wird betont, dass es primär um den Sänger der Band ginge. Viele sprechen von panischer Angst.

Verstörende Vorwürfe

Die Vorwürfe der Irin verstören. Auch deshalb, weil die Band für das Spiel mit Abgründen in ihrer Kunst bekannt ist. Wer Rammstein hört, betritt eine zwielichtige, sexuell-aufgeladene Unterwelt der Perversion, Gewalt, Masse und Macht, man trifft auf Abscheulichkeiten, auf Unvorstellbares und Verwerfliches. Mal mimt Lindemann mit seinem Keyboarder Flake auf der Bühne Geschlechtsverkehr, mal taucht Lindemann bei einem Autogramm-Termin mit einer Person auf, die in Sadomaso-Montur inklusive Bondage-Ledermaske, angekettet am Hals, wie ein unterwürfiger Hund hinter ihm her kriecht. Das Gute daran: Es ist Kunst. Und Kunst soll und darf provozieren. Das tut sie bei Rammstein mehr als bei jeder anderen Band.

Immer wieder hat diese Unterwelt aber auch für Kritik und Shitstorms gesorgt. Im Zuge der Veröffentlichung eines Gedichtbands, sorgte Till Lindemann 2020 mit einem Text, in dem eine Vergewaltigung geschildert wird, für Empörung. "Und genau so soll das sein (so soll das sein so macht das Spaß) / Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein Segen", lautete eine Zeile im Gedicht. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch äußerte sich zur Kritik: „Die moralische Empörung über den Text dieses Gedichts basiert auf einer Verwechslung des fiktionalen Sprechers, dem sogenannten lyrischen Ich, mit dem Autor Till Lindemann".

Im gleichen Jahr verstörte Till Lindemann, der sich mit einem Soloprojekt auf eigene Pfade begab, mit einem expliziten Musikvideo namens „Till the End“, deutsch: „Bis zum Ende“. Die Aufnahme ist nichts für schwache Nerven. Lindemann spielt in dem Porno einen Mann, der sich in seinem Hotelzimmer mit anderen, maskierten, Frauen umgibt. Das Musikvideo zeigt Sex, gemischt mit Gewalt. Frauen schreien, werden gewürgt, geschlagen.