In einem Bericht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) enthaltene Chat-Auszüge werfen ein schlechtes Licht auf die Unabhängigkeit mancher (ehemaliger) ORF-Stiftungsräte. So tauschte sich etwa der ehemalige Stiftungsratsvorsitzende Norbert Steger mit FPÖ-Spitzenpolitikern darüber aus, wie der ORF personell und inhaltlich auf Linie gebracht werden könne. Mehrere Parteien drängen nun auf eine Gremienreform, geplant ist diese laut Medienministerium nicht.

Der WKStA-Bericht enthält Chats, die etwa zeigen, wie sich Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Februar 2018 auf eine baldige Zweidrittelmehrheit im Stiftungsrat bestehend aus der ÖVP und FPÖ zuordenbaren Stiftungsräten freute. "Dann folgt eine ORF-Reform!", hielt er fest. Vorgesehen war, die Gebührenfinanzierung abzuschaffen und stattdessen eine Finanzierung über das Bundesbudget zu etablieren – was die Abhängigkeit des ORF von der Politik wohl erhöhen würde, wie Medienexperten wiederholt mahnten. Steger drängte zudem darauf, dass ORF-Betriebsräte das Stimmrecht bei Personalentscheidungen im Stiftungsrat verlieren sollen. Denn der damalige ORF-Chef Alexander Wrabetz wäre ohne deren Stimmen nicht Generaldirektor geworden, so Steger, der lange Zeit dem FPÖ-"Freundeskreis" im Stiftungsrat angehörte.

In einer Chatgruppe tauschte man sich darüber aus, wer stattdessen ein "loyaler Topdirektor" werden könnte. Bereits Monate zuvor notierte Steger im November 2018: "Die VP macht derzeit einen Vorstoß für Weißmann, ein korrekter Schwarzer." Er stufte ihn als "grundsätzlich OK" ein. Roland Weißmann wurde mittlerweile mit vorwiegend Stimmen aus dem ÖVP- und Grünen-"Freundeskreis" im Stiftungsrat an die Spitze des ORF gewählt.

Strache schwebten große Personalrochaden vor, wie ein Austausch mit Steger verdeutlicht: "Ohne Personelles wird trotzdem kein einziger FP-Beitrag objektiver oder freundlicher werden! Dazu muss wer rausgeschmissen werden!!!!", schrieb Steger. Strache antwortete: "Deshalb brauchen wir ein ORF-Gesetz, wo totale Personalrochaden, Neubesetzungen möglich werden!" Auch zum künftigen ORF-Direktorium machten sich die FPÖ-Politiker Gedanken. Zumindest zwei oder drei Direktoren wollte man stellen. Doch dann ließ bekanntlich die Ibiza-Affäre die damalige ÖVP-FPÖ-Koalition platzen.

"Wenn der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrats allen Ernstes schreibt, ORF-Journalisten müssen rausgeschmissen werden, damit die Berichterstattung über seine Partei freundlicher wird, dann ist eine rote Linie überschritten. Das ist demokratiepolitisch gefährlich", sagte ORF-Redakteursrat-Vorsitzender Dieter Bornemann in einem Beitrag der ZiB 2. Steger hielt gegenüber dem ORF fest, dass er immer unabhängig gewesen sei und Ausgewogenheit eingemahnt habe.

Für eine ORF-Gremienreform zeigte sich der gegenwärtige ORF-Stiftungsratsvorsitzende Lothar Lockl im Gespräch mit der Austria Presse Agentur "offen". Aber die Entscheidung darüber sei Sache der Politik. Was er von den Chats seines Amtsvorgängers hält? Es sei "natürlich" auch Aufgabe von Stiftungsräten, die Interessen des ORF zum Wohle des Unternehmens gegenüber der Politik zu vertreten. Er selbst habe aber "eine andere Vorstellung" als Steger davon, wie man als Stiftungsratsvorsitzender die Unabhängigkeit des ORF sicherstellt. Er bat, das jetzige oberste Gremium des ORF an seinen Taten zu messen. "Ich bin sehr froh, dass der Stiftungsrat einer Stärkung des Redakteursstatuts zugestimmt hat", so Lockl, der auf grünem Ticket ins oberste ORF-Gremium bestellt wurde. Das habe die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit jedenfalls gestärkt. Auch habe man bei wesentlichen Personalentscheidungen im Unternehmen auf Qualifikation an oberster Stelle geachtet. "Parteinähe war in keiner Weise ausschlaggebend."

Grüne, SPÖ und Neos erneuerten auf APA-Anfrage ihre Forderung nach einer ORF-Gremienreform. Eva Blimlinger, Mediensprecherin der Grünen, will den Stiftungsrat "massiv verkleinern" und Änderungen bei den Nominierungsrechten. Derzeit weist das Gremium 35 Mitglieder auf. Diese werden von Regierung (9), Parlamentsparteien (6), Bundesländern (9), ORF-Publikumsrat (6) und Zentralbetriebsrat (5) beschickt. "Politikferne sollte jedenfalls eine Partei-Politikferne sein. Eine gänzliche Politikferne kann und soll es bei einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich nicht geben", so Blimlinger. Denn es gehe auch um ausreichende und unabhängige Finanzierung, und diese müsse wohl gesetzlich festgelegt werden.

Auch die SPÖ fordert eine Reformdiskussion zu den ORF-Gremien. Die in den vergangenen Tagen öffentlich gewordenen Chats "zeigen Handlungsbedarf, um die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des ORF sicherzustellen", so SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried. Die Partei tritt etwa für eine geheime Wahl des ORF-Chefs und einen transparenten Bestellungsprozess ein. Außerdem solle man diskutieren, die Wahlgremien auf breitere Beine zu stellen. "Möglich wäre das etwa durch die zusätzliche Einbeziehung repräsentativer Organisationen in den Stiftungsrat, die für Gesellschaft und Kultur Bedeutung haben – wie NGOs, Kammern, Sozialorganisationen oder Vertreter*innen aus Filmwirtschaft oder der Wissenschaft", so Leichtfried, der meinte, dass es mit der SPÖ "jedenfalls keine 'Sideletter' für ORF-Postenbesetzungen" geben würde.

"Die jüngsten Chat-Enthüllungen zeigen einmal mehr, dass es allerhöchste Zeit ist, den ORF endlich zu entpolitisieren. Wir wollen einen unabhängigen ORF, der mit unabhängigem Journalismus einen Grundpfeiler der Demokratie darstellt, echten Mehrwert für die Bevölkerung liefert und nicht der Spielball einzelner parteipolitischer Akteure ist", pochte Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter auf eine Gremienreform. Die Gremien sollen nach Vorstellung der Neos zu einer Hauptversammlung entwickelt werden, die sich aus gelosten Personen aus der Bevölkerung, Vertreterinnen und Vertretern zivilgesellschaftlicher Institutionen und nur mehr einer Person pro Parlamentsklub zusammensetzt. Gemeinsam sollen diese auf Basis von Ausschreibungen und Hearings ein Präsidium wählen, das dann den Vorstand bestellt.

Dass es auch tatsächlich zu einer Gremienreform kommt, scheint unwahrscheinlich. Schließlich hielt das Medienministerium unter Susanne Raab (ÖVP) auf APA-Anfrage fest: "Eine Gremienreform ist im Regierungsprogramm nicht vorgesehen." Gearbeitet werde derzeit an einer ORF-Digitalnovelle und der Umsetzung eines Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses zur Finanzierung des ORF.