Das Echte, Spürbare, von Oberflächlichkeit und irrelevantem Rundum-Getöse Befreite: dringend gesucht. In der Musik wird man mitunter noch fündig: Michael Kiwanuka sichert sich mit seinem neuen, schlicht und ganz bewusst nur mit seinem Nachnamen betitelten Album einen Platz unter den Großen der Soulmusik.

In Phase III angekommen

Die 14 Songs (zwei davon kurze Instrumentalstücke), sind eine logische Fortführung seiner beiden Vorgängerwerke "Home Again" (2012) und "Love & Hate" (2016) – und doch Beginn von Phase III: viel größer die Lust am Experiment, lichter die Klangfarben – und selbstbewusster der Mann selbst. "Kiwanuka" wurde zu einem durchaus kantigen Füllhorn aus Soul, Folk und Rock. Der Auftakt "You Ain't The Problem" ist dahingaloppierender Afrobeat und bereits ein wichtiges Statement: "Du bist nicht das Problem! Du bist doch in Ordnung, so wie du bist."

"Hero" beginnt zögerlich wie der Kiwanuka von früher, wird dann aber zur Optimismus versprühenden Hymne. Ganz groß auch die flirrende Ballade "Final Days" und die vier Minuten Herzschmerz von "This Kind Of Love". Es sind 51 Minuten voll handgemachter Musik: Gitarren, E-Pianos, Streicher, mit Groove und Herz gespieltes Schlagwerk, Frauenjubelchöre!

Der 32-Jährige spendet nicht nur den Zuhörern Trost, er steckte seit 2012 vor allem auch sein eigenes Selbstbewusstsein in einen Stehkragen: "Ich lebe heute meinen Traum – früher aber warf ich ihn weg, mit all meinen Gedanken, minderwertig zu sein." Man vergleiche nur das Cover seines ersten Albums, auf dem er den Blick noch zögerlich nach unten richtete, um seine Spur zu finden, mit jenem des neuen Werks: Kiwanuka, der Erste, stolz mit Afro-Krone und im königlichen Gewand.

Zur echten Größe zu werden – Kiwanuka erarbeitete sich jeden Schritt davon selbst. Das Gefühl, ein Außenseiter zu sein, nirgendwo dazuzugehören, begleitete ihn lange: Seine Eltern fliehen aus Uganda und entkommen so dem Amin-Regime, er selbst wächst in Muswell Hill in Londons Norden auf. Kiwanuka fühlt sich zwischen allen Stühlen, gibt aber nicht auf. Neben einem Jazzmusik-Studium tritt er in lokalen Pubs auf, beginnt von unten. Der junge Brite eignet sich beachtliche Fertigkeiten an der Gitarre an, verdient sich als Studiomusiker ein paar Pfund und lässt seine warme, samtige Stimme ausreifen.

Isaac Hayes, Bill Withers, Terry Callier – die schnell gezogenen Vergleiche sind nicht verkehrt, greifen aber trotzdem zu kurz. "Kiwanuka" ist eine sich spätestens nach einigen Durchläufen festsetzende Soul-Sinfonie. Vor allem folgt das Album einer Dramaturgie, die auch in vielen Jahren noch berühren dürfte. Entgegen heutiger Hörgewohnheiten der Generation Streaming/Playlist sei es als Gesamtheit genossen!

Spagat zwischen Tradition und Moderne

Auch die Produktion des neuen Albums ist ein Triumph: Der Spagat zwischen zu einem guten Teil hüfttief in der Soul-Tradition der 1960er- und frühen 1970er-Jahre verhaftetem Songs und einem doch sehr heutigen Sound – er gelang. Dafür verantwortlich ist vor allem Brian Joseph Burton, besser bekannt als "Danger Mouse". Ein Luxusproblem, das Kiwanuka jetzt bekommen könnte: Was könnte man insgesamt für ein Nachfolgewerk noch draufsetzen?

Die laufende Europatournee macht in Kürze auch in der Stadthalle F in Wien Station (siehe Infokasten). Wer bereits Tickets hat (oder irgendwie noch zu Karten kommt), übe sich in Vorfreude. Halleluja!