Wenn dieser Abend Maßstab für die Ära Petrenko sein soll, erwartet die Zuhörer eine an Intensität und Hochspannung wohl kaum zu überbietende Reise. Mit atemberaubender Geschwindigkeit durchläuft Petrenko Beethovens Neunte und bleibt um vier Minuten unter der im Programm angegebenen Zeit von 65 Minuten für das Werk. Die Zuhörer sind begeistert von diesem Ritt durch die Neunte. Auch die Solisten Marlis Petersen (Sopran), Elisabeth Kulman (Mezzosopran), Benjamin Bruns (Tenor) und Kwangchul Youn (Bass) sowie der Rundfunkchor Berlin werden stürmisch gefeiert.

Seid umschlungen, Millionen: Petrenkos Beethoven hält das Publikum in Atem. Hingabe, Präzision und die befreiende Geste zum Schluss: Gebückt, gestreckt oder mit offenen Armen bindet Petrenko die musikalischen Fliehkräfte, reißt das Steuer des Orchesterschiffs an sich, um es dann in die Freiheit zu entlassen. Der Maestro tanzt, dirigiert aus der Hüfte heraus oder lässt einfach die Arme fallen.

So wird an diesem Freitagabend hör- und sichtbar, warum sich die Philharmoniker nach den 15 Jahren mit Sonnyboy Simon Rattle für diesen zurückhaltenden, eher öffentlichkeitsscheuen Maestro entschieden. Mit dem Briten Rattle trat das Orchester in die Multimedia-Zeit des 21. Jahrhunderts. Davor hatte der verklärte Claudio Abbado viel Mysterium verbreitet. Die Konzerte glichen Andachtsstunden. Mit Petrenko besinnen sich die 128 Musiker wieder auf ihre Wurzeln. Solche Akribie eines Chefdirigenten dürfte jedenfalls für die Jüngeren unter den Philharmonikern neu sein.

Es geht ihm nur um die Musik

Der russische Dirigent macht deutlich, dass es ihm nur um die Musik geht. Petrenkos Auftritte, so sagte jüngst der Philharmoniker-Solocellist Olaf Maninger, erinnere ihn an die letzten Jahre der Ära Herbert von Karajans. Damals war Karajan noch der Orchester-Herrscher, umgeben von der Aura des Unnahbaren. Wenn Karajan den Saal betrat, habe es geknistert.

Mit Alban Bergs symphonischen Passagen aus dessen Oper "Lulu" im ersten Teil, ein Werk am Rande der Tonalität, wird deutlich, dass Petrenko auch ein Operndirigent ist. Er entlockt dem Orchester seinen Klang und hält dabei alle Fäden in der Hand. Bis 2020 bleibt er auch Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München.

Sichtlich gerührt verneigt sich Petrenko am Ende vor den Zuhörern. Immer wieder rufen sie ihn auf die Bühne. Es ist ein verheißungsvoller Beginn eines neuen Zeitalters für die Berliner Philharmoniker.

Am Sonntag wird bei den Salzburger Festspielen das Konzert wiederholt. Der zweite Gastspiel-Auftritt am 26. August wird mit Patricia Kopatchinskaja als Solistin an der Violine gegeben. In Wien muss man sich bis zum Mai 2020 gedulden - dann tritt Petrenko mit den Berlinern im Musikverein mit zweimal Mahler auf.