Oliver Anthony ist ein bislang auch in den USA unbekannter Countrysänger. Mit seinem Song "Rich Men North of Richmond" ist der etwa 30-Jährige kurzfristig auf Platz 1 der US-Charts gelandet. Das Märchen vom plötzlichen Erfolg des Sängers aus der Unterschicht, der in einem Wohnwagen im Bundesstaat Virginia lebt, hat allerdings eine realpolitische Dimension, die gar nicht märchenhaft ist, sondern sehr modern. Seinen Erfolg dürfte er rechtskonservativen Influencern und Trumpisten verdanken, die ihn dem Song ihre Agenda vertreten sehen und ihn dank ihrer enormen Reichweite nach oben gepusht haben.
Tatsächlich ist "Rich Men North of Richmond" eine Abrechnung mit der Elite, die arbeitende Menschen unterdrückt. Insofern könnte es sich jedoch genauso gut um den Song eines Kommunisten handeln. Weil aber Anthony unter anderem auch über hohe Steuern und die soziale Hängematte singt, passt der Text 1:1 zur Argumentation von Trump-Anhängern: Steuern und Menschen, die das Sozialsystem ausnutzen, sind klassische "Feindbilder" der US-Rechten.
Der Musiker, der angeblich kein leichtes Leben gehabt hat und mit Depressionen zu kämpfen hatte, ist vom plötzlichen Erfolg vermutlich komplett überfordert. Er wehrt sich gegen eine Vereinnahmung. Er sehe sich politisch vielmehr in der Mitte und sei nur ein "Idiot mit Gitarre".
Auf der anderen Seite des großen Teichs hat er einen Kollegen, der ihn zur Seite springen möchte. Der linke britische Songwriter Billy Bragg meint, dass Anthony einfach ein Typ sei, der versuche, sich einen Reim auf eine feindselige, entsolidarisierte Welt zu machen und dabei die falschen Schlüsse ziehe: Man könne nicht ernsthaft ein paar übergewichtige Sozialhilfeempfänger für die Armut von Millionen verantwortlich machen. Er hat deshalb eine "Antwortsong" geschrieben. In "Rich Men Earning North of a Million" empfiehlt Bragg, einer Gewerkschaft beizutreten. Was Anthony davon hält, ist noch nicht bekannt.