Wenn Billie Eilish im Video als Anime-Figur auftritt, ist für diese Art des Japonismus durchaus Hayao Miyazaki verantwortlich. Der japanische Filmemacher wird am 5. Jänner 80 Jahre alt und prägt seit Jahrzehnten mit seiner Ästhetik, seinen Themen und seiner grenzenlosen Fantasie die Filmwelt.
Begonnen hat seine fantastische Reise als Zeichner für die japanische – jedoch noch stark europäisierte – Fernsehserie „Heidi“. Die Produktionsfirma Zuiyo Enterprise zeichnete auch für eine ganze Schwemme an Kindheitserinnerungen der 1970er-Jahre verantwortlich: von Wickie über Pinocchio bis hin zu Biene Maja, diese jedoch alle ohne Miyazaki. Der in Tokio geborene Regisseur wollte jedoch nie als „Disney Japans“ bezeichnet werden: „Disney war ein Produzent.“ Seine frühen Erfolge mit „Heidi“ und seine Zusammenarbeit mit dem 2018 verstorbenen Isao Takahata führten 1985 zur Gründung des Ghibli-Studios (benannt nach einem im Italienischen für „heißer Sahara-Wüstenwind“ stehenden Wort).

Ghiblis erster Spielfilm war „Das Schloss im Himmel“: Damit begann eine Jahrzehnte dauernde Erfolgsgeschichte des Anime-Filmes: Von „Prinzessin Mononoke“ (1997) über „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) bis hin zu Miyazakis bislang letztem Film „Wie der Wind sich hebt“ (2013).


Miyazakis Anderssein lässt sich durch seine Übergangswelten beschreiben: Geister, Traumwelten, Fabeltiere. Man findet solche Übergangswelten im westlichen Kulturkreis auch bei Autoren wie dem Briten Neil Gaiman, jedoch lassen sich Miyazakis Geschichten auch mit dem originär japanischen Shintoismus erklären: Als das kleine Mädchen Chihiro mit ihren Eltern im Auto vom Weg abkommt, fahren sie an „Kamis“ vorbei. „Kami“ steht im Schintoismus für übernatürliche Wesen, aber auch für Kräfte. Wenn in der verlassenen Stadt die Nacht hereinbricht, erwacht die Welt der Hexe Yubaba zum Leben, und Geister bevölkern die Szenerie. Magie, okkulte Kräfte und das Austreiben böser Geister – all das sind Themen des Shinto wie auch von „Chihiro“. Das Mädchen betritt über eine Wasser-Barriere das „Zauberland“: ein wichtiges Symbol der Reinheit und des Schutzes im Shintoismus.


Auch das Verbundensein mit der Natur kommt in Miyazakis Filmen stark zum Ausdruck: Am stärksten vielleicht in „Prinzessin Mononoke“, in der die Krieger-Prinzessin Mononoke bei den Wölfen lebt. Gemeinsam mit dem jungen Ashitaka kämpfen sie in dieser vormodernen Welt gegen die Waffenschmiede rund um ihre Anführerin Eboshi, die die Wälder zerstören und gegen die Tiergötter kämpfen.
Miyazaki steht mit „Mononoke“ auch in der Tradition eines Akira Kurosawa, wenn er einen Jidai-Geki-Film dreht: Dieses Genre bezeichnet einen Historien-Film, der ein vormodernes Japan zeigt. Ganz japanisch ist Miyazaki auch, wenn seine Figuren wie jene des Ohngesichts in „Chihiro“ (eine geisterhafte Figur mit Maske) an das No-Theater erinnern: Dieses Tanz-Drama zeichnet sich durch langsame, ritualisierte Bewegungen und das Tragen von Masken aus.

Mit der Hand gezeichnet

„Alte Schule“ ist Miyazaki in Bezug auf das Handwerk: Alle seine Filme sind von Hand gezeichnet. Erst sein Sohn Goro Miyazaki hat mit der Serie „Ronja Räubertochter“ (nach Astrid Lindgren) das erste computeranimierte Ghibli-Werk geschaffen. Jedoch unabhängig von der Deutung seiner Inhalte, hat Miyazaki die Filmwelt mit seiner überbordenden Fantasie, seinen Grenzen sprengenden Gestalten (wie ein Katzenbus, der auf Pfoten läuft), großartig erzählten Geschichten, den zumeist weiblichen Heldinnen und starken Frauen-Figuren sowie einer ästhetischen Bildsprache geprägt, die für eine neue Form des Japonismus verantwortlich zeichneten. Sein größter Erfolg war wohl der „Goldene Bär“ auf der Berlinale und der Oscar für den Animationsfilm „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2002/03). Jetzt steht noch ein „Coming of Age“-Film auf dem Lebenszettel Miyazakis, den er für seinen Enkel macht. Sein Wesen wird dabei aus dem ersichtlich, was er sagt: „Opa zieht bald in die nächste Welt, aber er lässt diesen Film zurück, weil er dich liebt.“