Dem 2009 verstorbenen Kärntner Schriftsteller Gert Jonke hätte es wahrscheinlich gefallen. Sein vor 20 Jahren geschriebenes "Festspiel" "Gegenwart der Erinnerung" war für einen Teil des Publikums im Grazer Schauspielhaus offenbar zu viel, denn eine erkleckliche Zahl der Premierenbesucher zog es am Donnerstagabend vor, den Ort des Geschehens während der Pause zu verlassen.
Das lag aber vermutlich weder an der Qualität des Texts, der eine Quasi-Dramatisierung von Jonkes aus den 1970er Jahren stammende Erzählung "Schule der Geläufigkeit" darstellt, noch an der Umsetzung des Texts durch das kongeniale Regie-/Gestalterinnenduo Christiane Pohle und Penelope Wehrli; am fein agierenden Ensemble des Grazer Schauspielhauses - hervorstechend diesmal Sebastian Reiß in der Rolle des Komponisten Burgmüller - sowieso nicht.
Die Handlung des Stücks - wenn es eine solche gibt - ist rasch umrissen: Der Fotograf Diabelli und seine Schwester Johanna laden zu einem Gartenfest mit zahlreichen Künstlern und einflussreichen Beamten. Das Geschwisterpaar will als Experiment das Fest so gestalten, dass es eine detailgetreue Wiederholung des Vorjahresfestes inklusiver allen absurden Small Talks sowie diverser Party-Randereignisse inklusive Panscherl zwischen der Gastgeberin und Komponist Burgmüller wird. Dies soll anhand analoger Fotos belegt werden.
Schön und gut. Es ist allerdings für das Publikum nicht immer nachvollziehbar, wann und wo der Autor auf das Vergangene und wann er auf das gegenwärtige Geschehen zugreift. Alles zerfließt und verschwimmt in Jonkes wunderbar kafkaesker, klarer Kunstsprache.
Die Abstraktion der Realität wird von Wehrlis nüchterner und klarer Bühnengestaltung optisch unterstrichen. Auch die dezente, von Gerriet K. Sharma komponierte Theatermusik entzieht sich unauffällig jeder billigen Plakativität und erfüllt damit den von Jonke beabsichtigten musikalischen Bezug.
Nicht nur, dass der Gastgeber Diabelli ein Namensvetter des Salzburger Beethoven-Zeitgenossen und Komponisten Anton Diabelli (1781-1858) ist, auch der gesamte Duktus des Stücks mit seinem zwischen Prosa, Lyrik und eigentlichem Drama changierenden Text ist auch ohne hörbare Töne hochmusikalisch.
Besonders deutlich wird das in der Schlüsselszene des Stücks - einem merkwürdigen Klavierkonzert des extravaganten Künstlers Schleifer (dargestellt vom Schlagzeuger und Elektronik-Musiker Matthias Frank). Der verstummt angesichts der banausenhaften Festbesucher mitten im Spiel. Von da an löst Jonke jeden Schein einer realen Handlung auf und lässt die Gestalt des sensiblen Malers Waldstein (auch in Hochform: Florian Köhler) Schleifers Rolle übernehmen.
Am Ende des Stücks weiß dann keiner der Protagonisten mehr, ob es wirklich zwei gleiche Feste gegeben hat; was noch Erinnerung vom Vorjahr und was das in den Stunden davor Geschehene war. Dank höherer dramaturgischer Dynamik und dem stärkeren Einsatz von volksstückhaftem Schmäh in Jonkes Text kommt der geduldigere Teil des Grazer Publikums bei allem intellektuellen Anspruch nach der Pause auch noch zu genüsslicher Unterhaltung.
Die an Thomas Bernhard gemahnende Replik "Dass diese Stadt überhaupt existiert, ist ein Witz" kommt an diesem Abend mit besonderer Süffisanz daher. Regie, Bühnendesign, Musiker und Ensemble durften sich jedenfalls über einen lange anhaltenden Applaus freuen, der die am Ende auch von der Bühne aus sichtlich gelichteten Zuschauerreihen vermutlich vergessen ließ.
Andreas Stangl/APA