„Verkehr entsteht, wo etwas verkehrt steht.“ Mit einem launigen Zitat begann Stadtplaner Reinhard Seiß seinen Vortrag beim 11. Wirtschafts- und Standortgespräch in Lienz. Vorab begrüßte Bürgermeisterin Elisabeth Blanik die zahlreichen Zuhörer und leitete ebenfalls ins Thema ein: „Wir sind im Gemeinderat zuständig für Widmungen und Raumplanung. Wir definieren, wie wir unsere Böden nutzen. Wo brauchen wir Straßen? Wo bauen wir? Wo entsteht Gewerbe? Wie erfüllen wir den größten Wunsch der Österreicher nach einem Haus mit Garten?“
„Wir nehmen im Gemeinderat für uns in Anspruch, extrem verantwortungsvoll mit Raumordnung umzugehen. An manchen Stellen Entwicklung zuzulassen, an anderer Stelle zu verhindern. Aber in eigenen Dingen ist man oft ein schlechter Schiedsrichter, daher möchten wir heute den Blick von außen auf unser Tun zulassen“, erläuterte Christian Steininger, Obmann des Ausschusses für Wirtschaft und Standortentwicklung.
Stadtplaner Seiß ließ sich nicht lange bitten und kündigte seinen Film „Der automobile Mensch“ an, der in einer 80-minütigen Kurzfassung (die Langfassung dauert sechseinhalb Stunden!) gezeigt wurde: „Wir sind in einer Klimakrise, in einer Energiekrise, mit einer sehr geringen Zukunftstauglichkeit. Der Film ist aufgrund meiner Verzweiflung, meiner Empörung nach 30-jähriger Tätigkeit entstanden. Wir wissen, was besser für uns wäre, aber wir treffen immer noch falsche oder gar gegenteilige Entscheidungen.“
Im Film selbst kam Lienz gut weg. Seiß: „Ich wollte den Film eigentlich nur über Österreich machen. Aber ich habe mich gefragt: Wo sind die guten Beispiele? Lienz ist eine der wenigen Ausnahmen. Ansonsten sehen wir viel Erschütterndes, anders als etwa in der Schweiz.“ Vor allem die Neugestaltung der Lienzer Innenstadt nach jahrelangem Niedergang stellte der Film lobend heraus: „Politik, Verwaltung, Hauseigentümer und die Geschäftsleute schafften ab 2002 eine gemeinsame Aufwertung eines Altstadtviertels mit der Sanierung von Fassaden, mit Begrünung, mit neuer Straßengestaltung, mit gemeinsamem Marketing der Kaufleute. Das Wichtigste aber war, dass man die Autos aus dem öffentlichen Raum verdrängt hat. Die Kundenfrequenz verdoppelte sich, dementsprechend stiegen die Umsätze.“
Nußdorf-Debant als Negativbeispiel
Negativ zeigte der Beitrag hingegen das „ohne Skrupel auf der grünen Wiese“ entstandene Fachmarktzentrum in Nußdorf-Debant, das dieselben Geschäfte bieten würde, wie die Lienzer Innenstadt, aber beträchtlichen Autoverkehr zum Großparkplatz verursacht. Wohingegen es laut Seiß in keinem österreichischen Stadtzentrum so viele Fahrräder mit Einkaufskorb gäbe wie in Lienz: „Interessant wäre, ob den Kunden bewusst ist, dass sie am Fachmarktzentrum oft weiter zu Fuß gehen als in der Innenstadt.“
Zusammenfassend erklärte der Experte, dass es ein Umdenken in den Gemeinden, aber auch in der globalen Politik geben muss: „Wir haben mit Planungs- und Bauentscheidungen maßgeblichen Einfluss auf unser Verkehrsgeschehen. Ob wir kurze Wege haben, oder ob wir alles über die Landschaft verstreuen und dann mit dem Auto fahren müssen. Wir können die unerlässliche Verkehrswende nicht bewältigen, wenn wir nicht im Raum reparieren, rückbauen, anders gestalten. Auch unsere sehr weit fortgeschrittene Globalisierung ist das Gegenteil einer verkehrsvermeidenden, ressourcenschonenden Wirtschaftsstruktur.“
Ausweichverkehr als großes Problem?
In der anschließenden Diskussionsrunde kamen jedoch auch Dinge zur Sprache, die in Lienz alles andere als ideal laufen. So wurde etwa der starke Verkehr auf der B100 durch Lienz, aber auch die Belastung der umliegenden Gemeinden wie Tristach oder Amlach durch den Ausweichverkehr erwähnt. Blanik versprach, sich mit den betreffenden Bürgermeistern zusammenzusetzen und rechtliche Möglichkeiten etwa in Bezug auf „Google Maps“ zu prüfen, sagte aber auch: „Sperrungen wie am Brenner ergeben massive Probleme. Wir können nicht einfach ein Schild aufstellen, dann habe ich ein Problem mit dem Staatsanwalt. Erst wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist, also keine Rettung mehr durchkommt, könnte man das Abfahren von der Bundesstraße unterbinden.“
Blanik: „Ich bin da in einer Zwickmühle“
Ebenso kritisiert wurden die anstehenden Neubauten von Möbelix und Billa auf unverbauten Flächen, anstatt bereits versiegelte Flächen zu nutzen. Blanik: „Die Tiroler Raumordnung ist eine der strengsten in Österreich. Einkaufszentren mit Großgüter wie Möbel sind die einzigen, die noch außerhalb der Kernzone erlaubt sind.“ Weiter erklärte die Bürgermeisterin die Komplexität der Entscheidung: „Möbelix bemüht sich seit über zehn Jahren um diesen Standort und hat viel investiert. Ich bin da in einer Zwickmühle., da ich es auch als Aufgabe sehe, dass wir im Talboden die Versorgung mit allen Gütern haben. Als wir das beschlossen haben, hatten wir keinen Möbelladen mehr. Und man muss abwägen: Wir verbauen jetzt eine Fläche, aber dafür sparen wir Fahrten zum Ikea nach Klagenfurt.“
Abschließend appellierte Thomas Kranebitter, Planer bei der Raumschmiede, an die Eigenverantwortung aller, etwa auf Öffis oder das Rad umzusteigen: „Einer, der etwas vorlebt, ist wichtiger als Hundert, die etwas vorbeten. Unsere Stadt ist prädestiniert für ein Umdenken, weil man alles mit dem Radl erreichen kann.“