Paul* mag Suppe. Doch noch während er am Frühstückstisch im Kindergarten sitzend danach ruft, wird er jäh enttäuscht. Suppe werde nur zum Mittagessen serviert, hört er Tag für Tag. Und Tag für Tag findet er laut seiner Mutter schmackhafte Alternativen: „Er isst Äpfel oder Knäckebrot. Dinge, die er daheim nie anrühren würde.“ Dass der Zweijährige trotz seines Appetits der Schmalste in der Gruppe ist, liegt an seiner letzten Operation vor nicht einmal vier Wochen.

Man sieht es dem Jungen mit dem einnehmenden Grinsen nicht an, aber er startete mit schwerem Gepäck ins Leben. Sein Dünndarm war bei der Geburt nur zwei Zentimeter lang, bei gesunden Kindern sind es 300 Zentimeter. Dass Paul heute Suppen, Äpfel und Knäckebrote essen kann, verdankt er einem Spezialisten aus Linz. Diesem ist es im Zuge mehrerer Operationen gelungen den Dünndarm Zentimeter für Zentimeter zu verlängern – und der Familie aus dem Lavanttal Hoffnung zu geben, dass ihr kleiner Mann einmal ein normales Leben wird führen können.

Mobiles  Kinderpalliativteam ELKI KABEG Klinikum Klagenfurt
Kinderarzt Peter Matscheko und die Krankenpflegerin Patrizia Linzatti besuchen Paul alle zwei bis vier Wochen © Helmuth Weichselbraun

Aktuell ist es noch der Katheter nahe dem Herzen, über den Paul die Nährstoffe bekommt, die er über den Darm nicht aufnehmen kann. An diesem Tag kurz vor Weihnachten sind zudem der Kinderarzt Peter Matscheko und die Krankenpflegerin Patrizia Linzatti zu Besuch, um eine Eiseninfusion zu verabreichen.

Falsche Vorstellungen

Die beiden sind Herz und Gründungsmitglieder des Kinderpalliativteams des Klinikum Klagenfurt, dem noch ein weiterer Arzt in Ausbildung angehört. Was vor sieben Jahren als Pilotprojekt mit fünf Patientinnen und Patienten begonnen hat, ist heute eine fixe Einrichtung, die durch den Kärntner Gesundheitsfonds finanziert wird. Seit 2019 gibt es auch ein in Villach stationiertes Team, das den Oberkärntner Raum betreut.

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Peter Matscheko ist Kinderarzt und seit der Gründung im Jahr 2017 beim Kinderpalliativteam © Helmuth Weichselbraun

Von Klagenfurt aus werden derzeit 40 Patienten – aus dem Rosental oder Friesach, Bad Kleinkirchheim oder St. Paul - betreut und in unterschiedlicher Häufigkeit zuhause besucht. Einige haben bleibende Schäden von einer Infektion oder einem Unfall davongetragen, der überwiegende Teil wurde aber mit einer unheilbaren Krankheit geboren.

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Jonas mit seiner Mutter Julia © Helmuth Weichselbraun

Wie Jonas, der an einer seltenen Genmutation leidet. Nahrung wird ihm in Form einer Nährstofflösung über eine Vene verabreicht, von wo sie in den Blutkreislauf gelangt und vom Körper aufgenommen. Dieser parenteralen Ernährung, wie es im Fachjargon heißt, fehlt das Eisen, weshalb Linzatti und Matscheko regelmäßig bei Jonas und seiner Mutter Julia in Völkermarkt vorbeischauen. „Früher mussten wir für das Eisen ins Krankenhaus fahren. Jeder Besuch dort hat Jonas Keimen und damit einem Risiko ausgesetzt“, führt Julia einen Grundgedanken hinter den Hausbesuchen ins Treffen: Viele der vom Palliativteam betreuten Kinder müssen gleichzeitig mehrere Erkrankungen ertragen, die das Herz-Kreislauf-System, den Stoffwechsel, die Knochen oder Muskulatur betreffen und die in Kombination mit einer Infektion zum Tod führen können.

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Auch Jonas erhält eine Eiseninfusion © Helmuth Weichselbraun

Tod. Etwas mit dem das Wort Palliativ unweigerlich assoziiert wird. Zu Unrecht, wie Kinderarzt Matscheko sagt. „Pro Jahr machen wir in ein bis zwei Fällen wirkliche Sterbebegleitung. Die meisten Kinder und ihre Familien begleiten wir über lange Zeit, manchmal von Geburt bis ins junge Erwachsenenalter.“ Denn die Medizin habe Fortschritte gemacht. Schwer kranke und beeinträchtigte Kinder werden älter, kommen in die Pubertät, haben Loslösungstendenzen und bleiben dennoch in den meisten Fällen auf die Eltern angewiesen – die selbst altern.

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Die Eltern durchleben mit ihren kranken Kindern über die Jahre viele Krisen © Helmuth Weichselbraun

„Sie haben ihr Baby aus dem Bett gehoben und tun dasselbe 20 Jahre später mit ihrem erwachsenen Kind. Dabei merken sie nicht, dass sie selbst altern und mehr Unterstützung benötigen würden“, erklärt Matscheko. Wenn der Zeitpunkt kommt, an dem das Sterben ein unausweichliches Thema wird, wollen es die Eltern häufig nicht wahrhaben. „Über Jahre erleben sie Phasen, in denen sich die Gesundheit ihrer Kinder akut verschlechtert. Manchmal überwiegen die schlechten Phasen die guten. Wenn es wirklich zu Ende geht, ist es oft schwierig das begreiflich zu machen.“ Vor drei Jahren ist die älteste Patientin des Kinderpalliativteams mit 36 Jahren verstorben.

Kleine Kämpferin

Mittlerweile wurde eine Altersgrenze von 25 Jahren eingezogen, bei der die Betreuung durch das Team endet. Im Anschluss daran eine vergleichbare medizinische Betreuung zu finden, ist laut Matscheko schwierig. Im Prinzip brauche es oft nur einen engagierten Hausarzt, der sich den Patienten annimmt. Alternativen bieten Betreuungseinrichtungen mit medizinischer Versorgung wie das Marienheim in Maria Saal.

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Elena hat einen seltenen Gendefekt, an dem weniger als einer unter einer Million Menschen leidet © Helmuth Weichselbraun

Es gibt auch die andere Seite des Spektrums. Kleine Kämpfer und Kämpferinnen, wie die sechs Monate alte Elena aus Brückl. Ein mit Blumen bedrucktes Pflaster verdeckt an diesem Tag die Sonde, die in ihre kleine Nase führt und sie ernährt. Das Schlucken will ihr nicht richtig gelingen. Elena leidet an einem seltenen Gendefekt. So selten, dass weniger als einer von einer Million Menschen davon betroffen ist. Eine schwierige Situation für ihren Vater, ihre drei Brüder und vor allem für Mutter Verena, die beim Versuch mehr über die Erkrankung ihrer Tochter herauszufinden an ihre Grenzen gestoßen ist: „Du findest dazu nichts. Auch wenn es schrecklich klingt, aber bei Trisomie 21 gibt es wenigstens Erfahrungsberichte.“ Hoffnung gibt es trotzdem. Elena wirkt nicht teilnahmslos, sie „rülpst und furzt“ ganz normal, wie Linzatti feststellt.

Zudem ist die Bandbreite, mit der sich genbedingte Erkrankungen äußern groß, wie Matscheko weiß: „Der Rucksack den Elena zu tragen hat, ist schwer. Wir können ihn ihr leider nicht abnehmen, doch wir versuchen durch unsere Arbeit, die Last zumindest etwas zu erleichtern.“

*Name von der Redaktion geändert