"Jeder ernsthafte Forscher, der irgendetwas Brauchbares gegen das Coronavirus haben könnte, will sich am Kampf dagegen beteiligen", sagte der Österreicher Wolfgang Leitner, der am Nationalen Institut für Infektionskrankheiten (NIAID) in den USA arbeitet, der APA. Er hält bereits vorhandene Wirkstoffe als die vielversprechendsten, weil am schnellsten verfügbaren Mittel gegen SARS-CoV-2.

Die USA sind mit bisher mehr als 160.000 bestätigten Infektion global am schwersten von der Coronavirus-Pandemie betroffen. Die Forschung in den USA habe schon auf die Gefahr reagiert, als sie zunächst nur in China akut war, berichtet Leitner: "In dem Moment, als die Sequenz von SARS-CoV-2 veröffentlicht wurde, hat unser Vaccine Research Center die nötigen Erbgut-Konstrukte für einen Impfstoff herstellen lassen." Er wurde in Rekordzeit entwickelt und innerhalb von zwei Monaten schon an Freiwilligen getestet, wenn auch zunächst nur um festzustellen, dass er keine gefährlichen Nebenwirkungen hat. "Beim ersten SARS Ausbruch 2003 hat dies 20 Monate, also zehnmal so lange gedauert, was aber im Vergleich zur normalerweise jahrelangen Impfstoffentwicklung auch schon sehr schnell war", so Leitner, der seit Dezember 2014 am National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) die Sektion für angeborene Immunität leitet.

Keine Risiken eingehen

Absehbar sei trotzdem noch nicht, wann die Bevölkerung damit durchgeimpft werden könnte. "Nachdem die erste Phase so stark abgekürzt wurde, ist dies auch bei den nachfolgenden klinischen Tests zu erwarten, aber man darf dabei auf keinen Fall Risiken in Kauf nehmen, die nicht zu verantworten sind", sagte er. Für Patienten, die schon Symptome zeigen, wäre der vorbeugende Impfstoff ohnehin nicht geeignet. "Bis ein Impfstoff wirkt, dauert es für gewöhnlich zwei bis drei Wochen, das wäre zu spät für Patienten mit kritischem Krankheitsverlauf, weil eine virale Infektion sehr schnell voranschreitet", erklärte der Experte. Für diese seien antivirale Wirkstoffe wahrscheinlich die beste Lösung.

Antivirale Medikamente wären von allen möglichen neuen Mitteln gegen Corona auch am schnellsten verfügbar: "Normalerweise versucht man bei einem neuen Krankheitserreger zunächst einmal zu verstehen, wie er genau funktioniert, was bei ihm anders ist als bei vorigen, und wie er die Krankheit genau auslöst", sagte Leitner. Bei der aktuellen Covid-19 Pandemie habe man diesen Luxus nicht, dafür sei schlichtweg nicht genug Zeit.

"Im Moment den größten Unterschied würden aus meiner Sicht antivirale Medikamente machen", erklärte er. Deshalb würde das NIAID Projekte forcieren, die schon existierende, zugelassene Medikamente auf eine Wirksamkeit gegen das Coronavirus testen. Sicherheitsfragen wären dann schon geklärt, und die Therapeutika müssten "nur" eine ausreichende Wirkung gegen SARS-CoV-2 demonstrieren. Remdesivir ist für Leitner im Moment der Favorit und wird auch gerade von NIAID sowohl im Tiermodel (Affen) als auch in einem klinischen Versuch getestet.

Alles muss schnell gehen

"Im Moment muss leider alles sehr schnell gemacht werden, und es geht zunächst nur einmal darum, die Früchte zu pflücken, die am niedrigsten hängen", so Leitner. Um die Forschung gegen die Covid-19 Pandemie schnellstmöglich voranzutreiben, hat der US-Kongress kürzlich 836 Millionen Dollar (758 Mio. Euro) ausgeschüttet. Damit werden Projekte verschiedenster Art mit "Eil-Ausschreibungen" ("Emergency Notices") gefördert: "Es ist eigentlich alles dabei, wie die Entwicklung von antiviralen Therapeutika, Immunmodulatoren, um das angeborene Immunsystem zu aktivieren, diagnostische Plattformen, immunologische und virologische Grundlagenforschung, jede Menge Impfstoffentwicklung und natürlich verschiedenste klinische Versuche", erklärte er: "Wir kriegen Anträge von quasi jeder akademischen Institution, jeder Firma und jedem Forschungsinstitut, die auch nur annähernd, eventuell und potenziell etwas Brauchbares haben könnten".

Diese "Emergency-Notices" sind Forschungsförderungsprojekte des NIAID, die innerhalb von kürzester Zeit bewertet werden. Dazu gäbe es interne Expertenbegutachtung und wöchentliche Entscheidungssitzungen, anstatt externer Gremien, die dreimal im Jahr Projektanträge bewilligen oder ablehnen. Es können jedoch nur Institutionen teilnehmen, die schon ein vom NIAID gefördertes Projekt durchführen, um es an die SARS-CoV-2 Forschung anzupassen. "Ein komplett neues Projekt zu beurteilen, würde einen zu langwierigen Prozess erfordern", sagte Leitner.

Aus der ganzen Flut an Anträgen könne man trotzdem bei weitem nicht alle bewilligen, so der Experte: "Es klingt zwar nach viel Geld, aber im Endeffekt ist es ein Tropfen auf dem heißen Stein, weil es ja wirklich alles umfasst: Therapeutika, Diagnostika, Impfstoffe und klinische Versuche - von denen jeder einzelne zig Millionen Dollar kostet."

In Zukunft müsse man auf weitere Ausbrüche vorbereitet sein. "Coronaviren sind nichts Exotisches, es gibt mehrere davon, die in der Bevölkerung kursieren, ohne dass die Betroffenen es bemerken oder die nur harmlosen Schnupfen verursachen - gelegentlich kommt aber ein schlimmer Erreger wie SARS-1, MERS und nun SARS-CoV-2", sagte Leitner: "Da sie alle von Wildtieren abstammen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir neue Krankheitserreger aufstöbern, umso größer, umso mehr Menschen in die Lebensräume der Tiere eindringen, und umso mehr Kontakt sie mit ihnen haben." Dass Viren von Tieren zu Menschen überspringen, wäre nichts Neues, allerdings hätte es in der global vernetzten Welt viel größere Auswirkungen. "Wenn früher in einem Dorf am Berg die halbe Bevölkerung an einem neuen Virus gestorben ist, hat es sonst niemand bemerkt, heute kann solch ein Virus aber eine Pandemie verursachen", so der Experte.

Deshalb dürfe man die SARS-Viren Forschung nicht vernachlässigen, wenn die Pandemie irgendwann einmal abgeklungen ist. "Nach SARS-1 wurde sie leider schwerst eingeschränkt, als der Ausbruch vorbei war", sagte er: "Dafür zahlen wir jetzt." Der Impfstoff, der damals entwickelt wurde, ist nie zu Produktreife gekommen. Er hätte vielleicht aktuell helfen können. Immerhin würde der Wissensgewinn aus der SARS-1 Episode heute ein schnelleres Vorankommen ermöglichen.