Im zentralasiatischen Kasachstan werden die regierungskritischen Proteste offenbar blutig niedergeschlagen. Dutzende Unruhestifter seien in der Metropole Almaty "eliminiert" worden, teilte die Polizei nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax am Donnerstagvormittag mit. Augenzeugen hatten zuvor von Zusammenstößen und Schüssen im Zentrum von Almaty berichtet. Hintergrund waren stark gestiegene Preise für Flüssiggas.

Russische Fallschirmjäger

Angesichts der Unruhen verlegte Russland Soldaten in das zentralasiatische Land. Es seien Fallschirmjäger als Teil einer "Friedenstruppe" entsandt worden, meldeten mehrere russische Staatsagenturen am Donnerstag übereinstimmend unter Berufung auf die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit. Die autoritäre Führung Kasachstans hatte das Militärbündnis um Hilfe gebeten.

Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit werde auf Anfrage Kasachstans Friedenstruppen schicken, schrieb der armenische Premierminister Nikol Paschinjan in der Nacht auf Donnerstag auf Facebook. Paschinjan ist aktueller Vorsitzender des Bündnisses. Die USA forderten indes eine friedliche Beilegung der Proteste im zentralasiatischen Land.

Behörden schalteten in Kasachstan das Internet ab

Die Soldaten sollten für einen begrenzten Zeitraum entsandt werden, "um die Lage in dem Land zu stabilisieren und zu normalisieren", hieß es. Kasachstans Präsident Kassym-Jomart Tokajew hatte zuvor das Militärbündnis um Hilfe gebeten. Bei den am Wochenende ausgebrochenen Unruhen handle es sich "nicht um eine Bedrohung, sondern um eine Untergrabung der Integrität des Staates", sagte er.

Tokajew sagte, die hinter den Protesten stehenden "Terrorgruppen" würden "im Ausland" ausgebildet. Auch OVKS-Präsident Paschinjan erklärte, die Unruhen seien durch "äußere Einmischung" ausgelöst worden. In Russland waren zuvor Vorwürfe laut geworden, dass die USA bei den Protesten eine Rolle spielten. US-Regierungssprecherin Jen Psaki wies dies als "absolut falsch" und "eindeutig Teil des russischen Drehbuchs für Desinformation" zurück.

Die Behörden schalteten indes offenbar neuerlich das Internet im Land ab, um die Protestbewegung zu schwächen. So waren die Internetseiten des Präsidialamts und anderer Regierungsbehörden in der Nacht auf Donnerstag ebenso wenig zu erreichen wie jene von Flughäfen und Polizeibehörden, meldete die russische Staatsagentur Tass. In der Millionenstadt Almaty gebe es einen kompletten Internetausfall. Schon am Mittwoch war das Internet in dem autoritär regierten Land stundenlang ausgeschaltet gewesen - vermutlich, um die Organisation neuer Versammlungen über soziale Medien zu erschweren.

Russland und USA wollen friedliche Lösung

Das russische Außenministerium hatte am Mittwoch zu einer friedlichen Lösung aufgerufen. Probleme müssten "im Rahmen der verfassungsmäßigen und gesetzlichen Bestimmungen und durch Dialog und nicht durch Unruhen auf den Straßen" gelöst werden. "Wir hoffen auf eine rasche Normalisierung der Lage", hieß es.

Auch das US-Außenministerium forderte eine friedliche Beilegung des Konflikts. "Wir bitten alle Kasachen, die verfassungsmäßigen Institutionen, die Menschenrechte und die Pressefreiheit inklusive einer Wiederherstellung des Internetzugangs zu respektieren und zu verteidigen", erklärte der Sprecher des Ministeriums, Ned Price, am Mittwoch. Die USA forderten alle Parteien dringend auf, angesichts des Ausnahmezustands eine friedliche Lösung zu finden, so Price.

"Die Gewalt muss ein Ende haben", forderte die EU-Kommission in Brüssel. Alle Seiten seien aufgefordert, sich zurückzuhalten und eine friedliche Lösung zu suchen. Die EU sei willens, einen Dialog in dem Land zu unterstützen.

Die schwersten Unruhen seit Jahren

Die Unruhen in Kasachstan sind die schwersten in der früheren Sowjetrepublik seit Jahren. In Almaty hat die Polizei rund 2.000 Menschen festgenommen, wie die Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf das Innenministerium meldete. In der Stadt waren in der Nähe des zentralen Platzes, wo sich Demonstranten versammelt hatten, eine Explosion und Schüsse zu hören. Reuters-Reporter berichteten, dass sich Militärfahrzeuge auf den Platz zu bewegten. Die Agentur TASS meldete, Soldaten feuerten auf Demonstrierende und Autos auf dem Hauptplatz.

TASS berichtete zudem unter Berufung auf das kasachische Gesundheitsministerium, mehr als 1.000 Menschen seien während der Proteste verletzt worden. Über 400 von ihnen müssten in Kliniken behandelt werden. Die Polizei teilte mit, sie habe Dutzende Unruhestifter getötet. Das staatliche Fernsehen berichtete, 13 Angehörige der Sicherheitskräfte seien ums Leben gekommen, es seien zwei enthauptete Leichen entdeckt worden.

Reuters-Reporter berichteten, in Almaty seien eine Residenz des Präsidenten und ein Büro des Bürgermeisters in Brand gesteckt worden. In den Straßen standen zahlreiche ausgebrannte Autos. Bis zum Donnerstagnachmittag war der Flughafen, den eine aufgebrachte Menge am Mittwoch zeitweise besetzt hatte, wieder unter Kontrolle des Militärs. 

In Kasachstan herrschen Misswirtschaft und Armut

Experten werteten Tokajews Hilferuf als Zeichen, dass er sich nicht mehr auf seine Armee verlassen könne. Als Konsequenz aus den Protesten hatte er bereits am Mittwoch die Regierung entlassen und mit einem harten Durchgreifen gegen Demonstranten gedroht.

Die beispiellosen Proteste in Kasachstan waren aus Unmut über deutlich gestiegene Preise für Flüssiggas an den Tankstellen ausgebrochen. Viele Kasachen tanken dieses Gas, weil es billiger ist als Benzin. Viele Demonstranten richteten ihren Unmut auch gegen die Regierung und machten sie für ihre schlechte Lebenslage verantwortlich, weil der Alltag wegen hoher Inflation teurer wurde.

Das Land mit mehr als 18 Millionen Einwohnern grenzt unter anderem an Russland und China. Es ist reich an Öl- und Gasvorkommen. Die Republik ist auch einer der größten Uranproduzenten der Welt. Trotzdem kämpft Kasachstan mit Misswirtschaft und Armut.