Dutzende Male: "Ich kann nicht atmen." Und später noch: "Mama, Mama, Mama." Das waren die letzten Worte, die der 46-jährige George Perry Floyd am Abend des 25. Mai 2020 sagen konnte, bevor er das Bewusstsein verlor. Der Afroamerikaner starb in Minneapolis (US-Bundesstaat Minnesota) bei einer brutalen Festnahme, nachdem Polizisten sich auf ihn gesetzt und ihn über Minuten fixiert hatten. Einer der Beamten ließ sein Knie nach Ankunft des Krankenwagens noch fast 60 Sekunden auf Floyds Hals, der keinen Pulsschlag mehr hatte.

Ebendiesem Polizisten, dem damals Dienstältesten Derek Chauvin, wird ab heute in Minneapolis ein eigener Prozess gemacht. Er muss sich wegen Mordes zweiten Grades vor Gericht verantworten – darauf stehen in Minnesota bis zu 40 Jahre Haft. Zudem wird ihm auch Mord dritten Grades vorgeworfen, wofür bis zu 25 Jahre Freiheitsstrafe verhängt werden können. Im Oktober war der 44-Jährige auf Kaution von einer Million Dollar aus dem Gefängnis entlassen worden. Drei weitere – ebenfalls entlassene – Polizisten wurden wegen Beihilfe und Anstiftung zum Mord angeklagt, ihnen wird im August der Prozess gemacht.

Die "New York Times" brachte zusammen mit dem "Marshall Project" – eine Organisation für Online-Journalismus, die sich mit Fragen der Strafjustiz in den USA befasst – sechs weitere Fälle seit 2015 ans Licht: Sie dokumentieren ein ähnlich brutales Vorgehen des Hauptangeklagten. Betroffene und Zeugen beschrieben Chauvin als ungewöhnlich groben Polizisten, der keinerlei Mitgefühl zeigen würde. Immer wieder soll er dabei auf Festgenommenen gekniet haben. Laut "New York Times" wurden gegen ihn in seiner fast 20-jährigen Polizeikarriere 22 Beschwerden eingereicht. Diese und interne Untersuchungen blieben aber folgenlos.



Angesichts dieser neuen Erkenntnisse besitzt der Prozess, gut neun Monate nach Floyds Tod, noch größere Sprengkraft. Um dem von Ex-Präsident Donald Trump in seiner Amtszeit negierten Problem des institutionalisierten Rassismus innerhalb der US-Polizeibehören beizukommen, wurden in der vergangenen Woche Reformen eingeleitet: Eine Mehrheit in der von den Demokraten dominierten Parlamentskammer billigte den nach Floyd benannten Gesetzesentwurf: Die Immunität von Polizisten soll eingeschränkt werden, um bei Gewalt die Strafverfolgung zu erleichtern. Außerdem soll eine nationale Datenbank für polizeiliches Fehlverhalten aufgebaut werden.

US-Präsident Joe Biden unterstützt das Gesetz, dem allerdings noch der Senat zustimmen muss. Das Weiße Haus: "Wir können Vertrauen nicht wiederherstellen, wenn wir Polizeibeamte nicht für Machtmissbrauch zur Rechenschaft ziehen und gegen systemisches Fehlverhalten und systemischen Rassismus in den Polizeibehörden vorgehen."

Auf den Tod des unbewaffneten Floyd folgten 2020 Massenproteste im gesamten, ohnehin polarisierten Land – ein Freispruch des Hauptangeklagten könnte die Lage wieder eskalieren lassen. Beim Prozess sind jeweils nur ein Familienmitglied des Opfers und des Angeklagten zur gleichen Zeit zugelassen, wurde entschieden. Mit einem Urteil für Chauvin wird in Minneapolis nicht vor April oder Mai gerechnet, heißt es.