Ein neu in Kraft getretenes Gesetz zur Beschleunigung von Ermittlungsverfahren zu Fällen sexueller Gewalt droht die Staatsanwaltschaften in Italien an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen: Seit dem Inkrafttreten der Regelung am 9. August werden in Mailand im Durchschnitt täglich 30 bis 40 Anzeigen erstattet, in Neapel 30 und in Rom 25, wie die Zeitung "La Repubblica" am Freitag berichtete.

Mehr Anzeigen, nicht mehr Straftaten

Nicht die Zahl der Straftaten habe zugenommen, sondern die Zahl der Betroffenen, die - ermutigt durch das Gesetz - zur Polizei gehen, sagte Staatsanwalt Francesco Cozzi aus Genua der Zeitung. Der "Messaggero" zitierte einen Vertreter der Mailänder Staatsanwaltschaft mit den Worten, die Ermittler würden nun "tagein und tagaus überschwemmt mit Berichten über mutmaßlichen Missbrauch, Gewalt oder Stalking".

Das als "Code Red" bekannte Gesetz schreibt vor, dass die Staatsanwälte nach einer Anzeige innerhalb von drei Tagen die mutmaßlichen Opfer anhören und über das weitere Vorgehen entscheiden müssen. Befürworter loben, dass es etwa auch die Verbreitung von "Rache-Pornos" und das Verursachen dauerhafter Entstellungen unter Strafe stellt.

Die Drei-Tage-Frist für die Ermittler sei jedoch "unzumutbar", sagte die Ermittlungsrichterin Maria Monteleone aus Rom der "Repubblica". Damit bleibe nicht genug Zeit, einzelne Fälle wirklich zu untersuchen. "Wenn alles dringend wird, ist nichts mehr dringend", klagte Monteleone. Fälle von sexueller Belästigung durch Grapschen müssten nun beispielsweise mit der gleichen Dringlichkeit behandelt werden wie Kindesmissbrauch in der Familie, hieß es in der Zeitung.