Man hört immer wieder, es gebe keine Alternative zum Rekorddefizit. Sind Rekordschulden alternativlos?
CHRISTOPH BADELT: Natürlich gäbe es Alternativen, aber die sind ökonomisch und sozial untragbar. Ich bin mir absolut sicher, dass wir durch diese Krise nur durch einen extremen fiskalischen Impuls kommen. Sonst wären wir in der Situation der 1930er-Jahre – der Einbruch ist jetzt sogar etwas größer. Damals hat man nichts gemacht.

Das klingt nach einem Freibrief für die Politik, Geld auszugeben. Wann muss sie den Hahn wieder zuschrauben?
Der Finanzminister braucht sich jetzt für einen halben Prozentpunkt Defizit mehr nicht politisch zu rechtfertigen. Sobald die Wirtschaft wieder nachhaltig in den Aufschwung kommt, muss auf das Geld geschaut werden. Sofern in der Pandemie nicht wieder etwas passiert, könnte das in der zweiten Jahreshälfte sein.

Wir reden also noch von 2021.
Wir gehen von einem wirklich signifikanten Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte aus. Erst danach wird man beginnen, die Haushalte zu konsolidieren. Ein hübscher Konsolidierungseffekt entsteht ja durch die wachsende Wirtschaft …

... aber?
Es gibt zwei große Aber. Das eine: dass wir dann immer noch, und wir prognostizieren das bis 2025, mehr als zwei Prozent Defizit hätten. Und es gibt noch Ausgabenerfordernisse, die vor der Tür stehen, denken Sie an die Pflege. Es wird nicht leicht werden.

Manche glauben, das Wachstum zahle die Schulden zurück.
Das ist eine Frage der Fristigkeit. Wir haben innerhalb eines Jahres ein Budgetdefizit von fast 9 Prozent Defizit gebaut. Das Defizit reduziert sich schon, aber das dauert lange.

Wann sollten die Coronahilfen auslaufen? Sobald alle Hotels und Gasthäuser offen sind?
Es muss ein fließender Übergang sein. Bis die Wiener Stadthotels wieder gefüllt sind und Kongresse stattfinden, braucht es eine Befriedung der Pandemie weltweit. Es braucht ökonomischen Hausverstand.

Was muss sich ändern, wenn die Kurzarbeit verlängert wird?
Man muss nachschärfen. Am liebsten wäre mir eine branchenmäßige oder bereichsspezifische Abgrenzung. Das scheint aber weder aus EU-rechtlichen noch aus praktischen Gründen umsetzbar zu sein. Man müsste daher stärkere Anreize für Arbeitgeber und Arbeitnehmer schaffen: Das Gehalt muss sinken, wenn weniger gearbeitet wird. Jetzt bekommen alle gleich viel, das setzt keine guten Anreize. Wenn Unternehmen Mitarbeiter lieber in Kurzarbeit belassen und das eine oder andere Geschäft auslassen, ist das nicht anreizkonform. Ähnlich ist es beim Umsatzersatz.

Man muss also stückweise von der großzügigen pauschalen Kurzarbeit-Regelung abrücken?
Ich als Wirtschaftsforscher sage: Man sollte das machen und von kontraproduktiven Anreizen abrücken. Ob das politisch durchgeht, ist eine andere Frage. Wobei man sagen muss: Am Anfang der Krise war es gescheit, nicht zu differenzieren.

Wenn man nun zu differenzieren beginnt, braucht es Kriterien.
Da stellt sich die Frage, ob Einzelfall-Entscheidungen mit einem vernünftigen wirtschaftlichen Aufwand der öffentlichen Hand erzielbar sind. Ich bin etwa sehr vorsichtig, wenn verkündet wird, man sollte keine Zombie-Unternehmen mehr fördern. Das klingt wahnsinnig gut. Nur: Wer definiert, was ein Zombie-Unternehmen ist?

Die öffentliche Hand?
Im Normalfall entscheidet das eine marktliche Instanz wie der Konkursrichter oder die Bank. Und keine politische Instanz.

Wie gefährlich kann sich eine Pleitewelle aufschaukeln?
Das ist ganz wesentlich durch politische Entscheidungen bestimmt, die noch ausstehen: Kommt es weiter zu Stundungen, zu Ratenzahlungen – und mit welchen Fristen? Bisher wurden Insolvenzen künstlich tief gehalten, das wird aufs normale Niveau zurückkehren. Den wirtschaftlichen Aufschwung wird es nicht wesentlich behindern. Betroffen werden meistens kleinere Dienstleistungsunternehmen sein. Für die ist das sehr schlimm, aber makroökonomisch spielt das keine gewichtige Rolle.

Die Pleiten münden auch nicht in einer Finanzkrise?
Die Banken sind in einer ganz anderen Position als in der Finanzkrise. Es müsste sehr, sehr blöd hergehen, dass eine Bank in Schwierigkeiten kommt. Ich sehe da keine Gefahr.

Die Mitnahmeeffekte der Investitionsprämie werden heftig kritisiert. Wie groß sind diese?
Die gibt es und das ist gar nicht zu leugnen. Als man das im Spätsommer letzten Jahres beschlossen hat, nahm man diese sogar bewusst in Kauf, um Investitionsprojekte aus der Schublade zu holen. In der Zwischenzeit ist das Thema gegessen, die Anträge können gar nicht mehr gestellt werden. Daher ist die Kritik daran nicht konstruktiv.

Ist für Sie nachvollziehbar, was an der „Aktion Sprungbrett“ neu ist? Eingliederungshilfen für Arbeitslose gibt es ja bereits.
Was wirklich neu ist, wird man erst sehen, wenn sie konkret formuliert ist. Zumindest für diese Regierung ist es neu, eine größere Zahl an geförderten Arbeitsplätzen zu schaffen, und das auch in kommerziellen Unternehmen.

Wie sehr drängt die Zeit für eine ökosoziale Steuerreform?
Die Umsetzung wird sicherlich politische Kontroversen auslösen. Wenn man das wirklich 2022 in Kraft setzen will, ist es höchste Zeit, konkrete Projekte auf den Tisch zu legen.

Soll sich der Staat an MAN Steyr beteiligen, um das Werk zu retten?
Ökonomisch betrachtet gibt es eine Reihe von Gründen, wo es sinnvoll ist, dass sich der Staat an Unternehmen beteiligt. Man wird keine Begründung finden, warum sich der Staat an einer Lkw-Produktion beteiligt. Bei MAN braucht man ein konkretes betriebswirtschaftliches Konzept und Kapital. Die Diskussion einer Staatsbeteiligung ist missverständlich und stellt keine Lösung dar, weil man dadurch ja noch kein Konzept hat, was am Standort produziert werden soll.

Wie groß ist die Inflationsgefahr mittel- bis langfristig? 2,0 Prozent Inflation trotz Lockdown im März besorgt viele.
Man muss das Thema im Auge behalten. Ich sehe in den nächsten ein, zwei Jahren nicht, dass das Problem einer Hyperinflation droht. Aber wenn der Konsum wieder anspringt und Sparguthaben aufgelöst werden, kann in manchen Branchen, wie jetzt in der Baubranche, ein Preisdruck entstehen. Darauf muss man weise reagieren.

Wie?
Indem man auf der Angebotsseite den Nachfragedruck abfedert. Die öffentliche Hand darf nicht zu viele Bauinvestitionen tätigen – denn sonst verpufft das ganze Geld in höheren Preisen. Auch die EZB muss, wenn die Preise anspringen, Liquidität aus dem Markt herausnehmen.

Sind Sie mit der Wahl Ihres Nachfolgers zufrieden?
Ich freue mich sehr darüber, dass Herr Felbermayr kommt.