Ab Montag wird die Gaspipeline Nordstream 1, die russisches Gas vor allem nach Deutschland und Nordeuropa bringt, für eine Routinewartung geschlossen. Für Österreich bedeutet die zehntägige Lieferunterbrechung auch weniger Erdgas aus Russland. Die Befüllung der Gasspeicher werde daher geringer ausfallen als in den letzten Wochen, es könne auch zu Entnahmen kommen, teilte die Regulierungsbehörde E-Control am Freitag mit. Die aktuelle Versorgung sei aber gesichert.

Österreich erhalte den Großteil der Gaslieferungen aus Russland über die Ukraine und nicht über Nordstream 1. Der sommerliche Verbrauch von etwa 4 Terawattstunden (TWh) pro Monat könne "laut den aktuellen Analysen über die fortgeführten Gaslieferungen, die Eigenproduktion sowie über die Erdgasspeicher gesichert werden", schreibt die E-Control.

Zweifel blicken durch

Die üblicherweise wenig beachtete Wartung führt heuer zu hoher Nervosität in Europa, da viele befürchten, dass der russische Präsident Wladimir Putin nach der zehntägigen Wartung die Pipeline nicht mehr in Betrieb gehen lässt. Auch die E-Control lässt Zweifel durchblicken: Das Ziel, die heimischen Speicher bis zur Heizsaison zu 80 Prozent zu füllen, sei durch die Wartungspause nicht gefährdet, "sofern die übrigen Lieferwege das bisherige Niveau halten und vor allem die Nordstream 1 nach den angekündigten zehn Tagen mit annähernd gleicher Kapazität wie in den vergangenen Wochen wieder in Betrieb geht. Ob dies geschieht, kann bei der derzeit unsicheren, politischen Situation natürlich nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden, weswegen die Situation genau beobachtet und nach Ablauf der geplanten Wartungszeit schnell neu bewerten werden muss."

"Die Krise nicht herbeireden ..."

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegried Russwurm, hält eine völlige Einstellung der russischen Gaslieferungen für nicht ausgeschlossen. "Die Entscheidung liegt bei einem Mann im Kreml", sagte Russwurm am Freitag vor einem Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in München auf Anfrage. "Man muss sich vorbereiten aufs Schlimmste, aufs Beste hoffen und die Krise nicht herbeireden."

Die Gasversorgung wird eines der Hauptthemen des traditionellen Treffens von Kanzler und den vier Spitzenverbänden der Wirtschaft auf der Münchner Handwerksmesse sein. Am Montag wird die Pipeline Nord Stream durch die Ostsee für eine schon vor Monaten angekündigte Wartung abgeschaltet. Die Befürchtung ist, dass die russische Seite die Lieferungen nach dem Abschluss der Wartung nicht mehr aufnehmen könnte.

Kurzfristige Ersatzlösungen prüfen

Besonders in Süddeutschland mit seinen großen Industriestandorten gibt es Sorgen, dass bei einer Einstellung der russischen Lieferungen der Druck im deutschen Gasnetz nicht mehr ausreichen könnte, um eine stabile Versorgung zu gewährleisten. "Das kann durchaus sein", sagte Russwurm dazu. "All diese Notfallregelungen, wie mit Gasmangel umzugehen ist, sind für lokale Störungen gemacht worden. Was bei einem grundsätzlichen Gasmangel in diesem Gasnetz passiert, da gibt es keine Erfahrungswerte." Russwurm regte darum an, kurzfristige Ersatzlösungen zu prüfen: "Wir tun in Bayern gut daran, zu überlegen, ob's nicht auch andere Verbindungen gibt, die man relativ kurzfristig noch ertüchtigen kann, zum Beispiel Verbindungen nach Norditalien." Vielleicht sei das LNG-Terminal in Triest der bessere Einspeisepunkt als über Leitungen aus Belgien und den Niederlanden.

Auswirkungen auch auf Österreich

Auswirkungen hat die Stabilität der deutschen Gasversorgung nach Russwurms Worten auch auf Nachbarländer: "Man muss das Ganze im europäischen Kontext sehen", sagte der BDI-Cef. "Unsere Nachbarn im Süden und im Osten, die Österreicher, Tschechien, die hängen teilweise an unseren Leitungen, und wir in Bayern umgekehrt lose an den italienischen." Was immer in Deutschland entschieden werde, müssen mit den Nachbarn abgestimmt werden.

Siemens-Turbine für Pipeline: "Positive Signale" 

Die deutsche Regierung hat nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit unterdessen "positive Signale" der kanadischen Regierung bekommen, dass die dort gewartete Turbine von Siemens Energy für die Nord Stream 1 Pipeline geliefert wird. Er könne aber nicht bestätigen, dass die Lieferung schon erfolgt sei. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass Kanada seinen Widerstand gegen die Lieferung aufgegeben habe.

Die deutsche Regierung hatte mit der kanadischen Regierung verhandelt, weil die Lieferung die Sanktionsauflagen gegen Russland verletzen könnte, auch wenn die EU kein Gas-Embargo gegen Russland verhängt hat. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums sagte, man habe Kanada deshalb angeboten, die Turbine erst nach Deutschland und nicht an den russischen Energiekonzern Gazprom zu liefern.

Keinen Vorwand geben

Die deutsche Regierung argumentiert, dass man der russischen Regierung keinen Vorwand geben sollte, die Gaslieferungen nach Europa mit dem Hinweis auf die fehlende Turbine zu kürzen. Wenn man die Turbine wieder einsetzen könne, könne sich die russische Regierung nicht mehr auf das angeblich technische Problem berufen.

"Niemand hat irgendwelche Reparaturen erfunden"

Russland hat derlei Vorwürfe am Freitagabend indes abermals zurückgewiesen, das Fehlen einer reparaturbedürftigen Turbine für die Gaspipeline Nord Stream 1 als Vorwand für reduzierte Gaslieferungen nach Europa zu benutzen. Russland werde die Gaslieferungen nach Europa wieder erhöhen, wenn die in Kanada reparierte Turbine zurückgebracht werde, sagte Regierungssprecher Dmitri Peskow am Freitag. Niemand habe irgendwelche Reparaturen erfunden.

Russland hatte die Gaslieferungen über Nord Stream 1 mit dem Hinweis auf die fehlende Turbine gekürzt und damit unter anderem den Versorger Uniper in die Bredouille gebracht. Die deutsche Regierung sieht die Kürzung allerdings als politische Entscheidung und den technischen Grund als vorgeschoben an.