Trotz der auf ein Rekordhoch gestiegenen Inflation im Euroraum gilt es laut EZB-Chefökonom Philip Lane geldpolitisch nicht übereilt zu reagieren. Es sei wichtig, dass sich die Europäische Zentralbank (EZB) Zeit nehme, sagte der Ire am Freitag dem Sender CNBC. Es gelte, die nächsten Sitzungen und die in diesem Quartal anstehenden Prognosen zu nutzen, um sich ein umfassendes Lagebild zu verschaffen. Das sorgt für Diskussionen. Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer sieht Bedarf für einen strafferen Kurs: "Jetzt kommt es darauf an, dass die EZB endlich den Fuß vom Gas nimmt. Ansonsten steigen die Inflationserwartungen weiter, und die hohe Inflation setzt sich dauerhaft fest." Laut dem Deutsche-Bundesbank-Chef Joachim Nagel sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: "Die Geldpolitik darf nicht die Gelegenheit verpassen, rechtzeitig gegenzusteuern."
Angetrieben von den Folgen des Ukraine-Kriegs war die Inflation im Euroraum im März auf 7,5 Prozent gestiegen. "Das ist eine sehr hohe Zahl", räumte Lane ein. Nun müssten die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die Tarifrunden und die Folgen der Teuerung für die Haushalte und Firmen analysiert werden. Die EZB trifft sich am 14. April zu ihrer nächsten Sitzung. Sie will im dritten Quartal ihre milliardenschweren Anleihenkäufe beenden, wenn es der Inflationsausblick zulässt. Das Aus des Anleihenprogramms gilt als Voraussetzung für eine Zinswende, die "einige Zeit" danach vollzogen werden soll.
EZB-Vizechef Luis de Guindos sagte am Donnerstag auf einer Veranstaltung an der Universität Amsterdam, er rechne erst nach einer Reihe von Monaten mit dem Höhepunkt der Inflationswelle. In der zweiten Jahreshälfte werde sie dann aber voraussichtlich abflachen. Mit Blick auf die Konjunktur rechnet der Spanier zwar nicht damit, dass die Eurozone kurzfristig in eine Rezession rutscht. Für das erste Quartal sei nach seinem Eindruck allerdings nur ein geringes Wachstum zu erwarten und für das zweite Quartal ein Wert nahe null. Auf die Frage, ob eine Stagflation drohe – also eine vor sich hin dümpelnde Wirtschaft bei gleichzeitig hoher Inflation, antwortete der Spanier: "Ich glaube nicht, dass wir 2022 ein negatives Wachstum haben werden." Auch EZB-Chefin Christine Lagarde sagte jüngst, weder eine nachhaltige Rezession noch eine immer höhere Inflation zeichneten sich ab.