Eine Einigung in den Verhandlungen zum Eisenbahner-Kollektivvertrag ist nicht in Sicht. Ein erster Warnstreik der Gewerkschaft vida legte am Montag den Bahnverkehr österreichweit für zwei Stunden lahm. Zehntausende Fahrgäste von ÖBB, Westbahn und etlichen Lokalbahnen waren betroffen. Weitere Streiks sind nicht ausgeschlossen, die Gewerkschaft lehnte das Angebot der Arbeitgeberseite ab.

"Die nächste Stufe nach dem Warnstreik ist der Streik, aber soweit sind wir noch nicht", sagte vida-Chef Roman Hebenstreit nach dem Abbruch der neunten Verhandlungsrunde, die parallel zum Warnstreik lief. Gewerkschafter und Arbeitgeberseite hatten sich am Montag um 10 Uhr - zwei Stunden vor Streikbeginn - zu kurzfristig anberaumten Verhandlungen in der Wiener Wirtschaftskammer-Zentrale getroffen. Arbeitgeber-Chefverhandler Thomas Scheiber hatte die Hoffnung, damit den Streik noch abwenden zu können.

Doch es kam anders: Hebenstreit und sein Team verließen eine Dreiviertelstunde nach Verhandlungsbeginn kommentarlos den Raum. Das "substanziell verbesserte Angebot" von 3,37 Prozent der Arbeitgeberseite bezeichnete die Gewerkschaft als "umfangreichen Forderungskatalog". Die Gewerkschafter kehrten erst zurück, als der Streik um 12 Uhr schon angelaufen war. Die ÖBB stoppten den gesamten Bahnverkehr im Land. Und Scheiber blieb nichts anderes übrig als der Presse zu erklären: "Ich muss mit Bedauern feststellen, dass die Streikmaßnahmen nicht mehr aufzuhalten sind."

Bis 14 Uhr war der Zugverkehr österreichweit eingestellt. Regionalzüge, S-Bahnen genauso wie ÖBB-Railjets und Westbahn-Garnituren wurden vorübergehend an den Bahnsteigen abgestellt - insgesamt 670 Züge, 600 davon im Nahverkehr und 70 im Fernverkehr. Auch der Güterverkehr stand still. Per Durchsagen und auf den Monitoren in den Bahnhöfen informierten die ÖBB über die Ausfälle. Am Hauptbahnhof in Wien warteten Touristen auf das Streikende. Aufgrund des Warnstreiks zur Mittagszeit waren auch viele Schüler unterwegs. Die ÖBB gingen davon aus, dass rund 100.000 Fahrgäste betroffen waren. Der ÖBB-Rivale Westbahn erklärte, die ÖBB-Verkehrsleitzentrale habe den Betrieb eingestellt.

Nach Ende des Warnstreiks begannen die Bundesbahnen, den Zugverkehr schrittweise hochzufahren, zuerst setzten die Fernverkehrszüge ihre Fahrt fort, später folgte der Nahverkehr. Die ÖBB schlossen nicht aus, dass es noch bis in die Abendstunden zu Verspätungen und Ausfällen kommt.

Gewerkschaften solidarisch

Während die ÖBB auf einen Abschluss drängten und die Gewerkschaft aufforderten, die Verhandlungen nicht am Rücken der Fahrgäste und Mitarbeiter zu führen, erklärten sich mehrere andere Gewerkschaften solidarisch mit der für Verkehr und Tourismus zuständigen Schwesterorganisation vida.

Wie es in den Verhandlungen weitergeht, ist offen. Beide Seiten wollen in den nächsten Tagen intern beraten. Einen Termin für eine zehnte Verhandlungsrunde gibt es vorerst nicht. Scheiber kündigte an, nochmals auszuloten, "welchen Verhandlungsspielraum wir haben". Hebenstreit hatte das Angebot der Arbeitgeberseite abgeschmettert: "Hier im Vorfeld von einem substanziell verbesserten Angebot zu sprechen, das spottet jeder Beschreibung und ist eine Frechheit."

Die Gewerkschaft kritisierte Einschüchterungsversuche im Vorfeld des Warnstreiks und sieht das als Folge des Regierungswechsels. "Es ist mittlerweile wirklich viel möglich geworden in diesem Land", ließ sich Hebenstreit in der vida-Pressemitteilung zitieren. Die traditionell der Gewerkschaft nahestehende SPÖ war vergangenes Jahr aus der Regierung geflogen, seitdem regieren ÖVP und FPÖ. Kritiker werfen der Gewerkschaft und Hebenstreit vor, Oppositionspolitik für die SPÖ zu betreiben.

Kritik vom Verkehrsminister

Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) sagte über Hebenstreit: "Ich habe das Gefühl, er spielt bei einem Fußballmatch Rugby, und das passt nicht ganz zusammen." Das Angebot ist aus seiner Sicht sehr gut, für die beamteten Mitarbeiter höher als der Beamten-KV und für die anderen "in der Nähe des Abschlusses der Metaller". Alleine die ÖBB würde dieser Abschluss 80 Mio. Euro kosten. "Der Einzige, der einen Grund zum Streiken hätte, ist der Finanzminister", so Hofer.

ÖBB-Chef Andreas Matthä wollte sich am Montag am Rande einer Pressekonferenz nicht ausdrücklich dazu äußern, ob aus seiner Sicht Gewerkschafts- und ÖBB-Betriebsratschef Roman Hebenstreit den Streik dazu nutze, sich selber zu profilieren. "Jeder Fahrgast kann sich davon heute ein eigenes Bild machen", so der Bahn-Chef und auf die Frage, ob die Gewerkschaft mit dem Streik Oppositionspolitik betreibe: "Wenn man sich die ganze Geschichte dieser Verhandlungen ansieht, kann man sehr gut erkennen, worum es geht."

Angebot: 3,37 Prozent

Der Fachverband Schienenbahnen in der Wirtschaftskammer veröffentliche am Nachmittag ihr zuvor der Gewerkschaft vorgelegtes Angebot. Es sieht demnach eine KV-Erhöhung von 3,37 Prozent im Jahresdurchschnitt über alle Gehaltsstufen hinweg vor. "Den Warnstreik konnten wir leider nicht mehr abwenden, da dürfte das Drehbuch auch seitens der Gewerkschaft bereits festgestanden haben", meinte Scheiber, der aber zuversichtlich ist, dass es zu weiteren Gesprächen kommt. Im Anschluss an eine Gremiensitzung am Mittwoch will er die Gewerkschaft zu einer weiteren Verhandlungsrunde einladen - und damit die Streikgefahr bannen.

Den letzten großen Bahnstreik gab es 2003. Als damals die schwarz-blaue Regierung die Bundesbahnen aufgliedern und per Gesetz in das Dienstrecht der Eisenbahner eingreifen wollte, rief der damalige Bahn-Gewerkschaftsboss Wilhelm Haberzettl im November einen "unbefristeten" Streik aus. Am dritten Streiktag lenkte die Regierung teilweise ein und erklärte sich für Verhandlungen bereit.