Im Frühjahr löste der Essenszusteller Lieferando, Nummer eins am österreichischen Markt, in der Branche ein Erdbeben aus. Das Unternehmen gab bekannt, fortan nur mehr mit freien Dienstnehmern arbeiten zu wollen und kündigte in Folge hunderte angestellte Beschäftigte. Mindestlohn, bezahlter Urlaub, Weihnachtsgeld oder etwaige Zuschläge für Sonntagsarbeit waren für diese Zusteller mit einem Schlag Geschichte.
Beim Wechsel in eine freie Dienstnehmerschaft wiederum stellt sich häufig die Frage – freilich längst nicht nur bei Lieferando –, wie frei diese Dienstnehmer wirklich agieren können. Christian Ackerler, Leiter des Amtes für Betrugsbekämpfung, sagte im Gespräch mit der Kleinen Zeitung, dass er selbst es sich nur „schwer vorstellen kann, dass ein Essenszusteller wirklich völlig selbstbestimmt fahren kann“.
75 Kontrollen, 50 Problemfelder
Dass Ackerlers Meinung Gewicht hat, unterstrich nicht zuletzt eine Razzia, die am vergangenen Donnerstag von 224 Finanzpolizistinnen und Finanzpolizisten an 69 Einsatzorten durchgeführt wurde. 75 Essenszusteller wurden kontrolliert, bei 50 besteht „der Verdacht einer falsch gemeldeten Dienstnehmereigenschaft“.
Im Zuge dessen wurde auch der Ruf nach dem Gesetzgeber laut. Einerseits müsste alles getan werden, um Scheinselbstständigkeit den Kampf anzusagen, andererseits brauche es eine klare Definition, was denn eigentlich ein freier Dienstnehmer dürfe und was nicht.
„Arbeitsrechtlicher Meilenstein“
Tatsächlich scheint nach Informationen der Kleinen Zeitung politisch einiges in Bewegung zu sein. Nach außen hin will zwar noch niemand in die Offensive gehen, hinter vorgehaltener Hand ist aber von einem „Paradigmenwechsel“ und „arbeitsrechtlichen Meilenstein“ die Rede.
So soll die Regierung an einer Regelung tüfteln, Kollektivverträge in Zukunft auch für freie Dienstnehmer abschließen zu dürfen. Zurzeit gelten die von den Sozialpartnern ausverhandelten KV nur für „echte“ Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die laut Wirtschaftskammer rund 15.000 freien Dienstnehmer im Land spielen darin nur in den seltensten Fällen eine Rolle. Zu tun hat das auch mit dem den Kollektivverträgen zugrunde liegenden, 1974 formulierten, Arbeitsverfassungsgesetz.
Projekt weit fortgeschritten
Per rechtlicher Adaptierung könnte also der Rahmen verändert werden, um die konkrete Ausgestaltung der Kollektivverträge würden sich in Folge die Sozialpartner kümmern. Die Folge: Wird ein KV für freie Dienstnehmer in der jeweiligen Branche abgeschlossen, müssen Unternehmen, die Mitglied der Wirtschaftskammer sind, diesen auch anwenden. Eine Lücke würde geschlossen.
Innerhalb der Regierung soll das Projekt weit fortgeschritten sein und sich derzeit in Endabstimmung befinden. „Die Arbeitswelt entwickelt sich weiter und es ist unsere Aufgabe als Politik, darauf vernünftig zu reagieren“, heißt es auf Nachfrage von der zuständigen Arbeits- und Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ). Zu konkreteren Plänen könne man noch nichts sagen.