Nach der letzten Zinssitzung im März schien es zunächst offen zu sein, ob es auch im April zu einer Senkung der Leitzinsen kommen wird. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, hatte einmal mehr den Standardsatz, wonach von Sitzung zu Sitzung auf Basis der Daten entschieden wird, vorgebracht. Dennoch wurde von Marktbeobachtern im Nachhall eine Zins-Pause im April nicht ausgeschlossen. Seither ist viel passiert. Insbesondere in den transatlantischen Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA. Die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump ist schwer vorherzusehen. Auch wenn die Zölle gegen die EU teilweise wieder zurückgenommen wurden, sind sie doch deutlich höher als zuvor. Der Ausblick auf Inflation und Wirtschaftswachstum dürfte daher im Fokus der Währungshüter stehen.

Der Zollkonflikt sorgt jedenfalls für ein noch schwierigeres gesamtwirtschaftliches Umfeld und dürfte die ohnedies schwache Konjunktur im Euroraum weiter belasten. Zugleich ging die Inflationsrate zuletzt wieder zurück, sie lag im März im gemeinsamen Währungsraum im Schnitt bei 2,2 Prozent und nähert sich damit dem EZB-Zielwert von zwei Prozent an.

Stimmen für weitere Leitzinssenkungen wurden laut

Daher ist kaum noch von einer Zins-Pause die Rede. Nur noch manche Fachleute glauben, dass die EZB eine Pause einlegt. Einige Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) haben sich hingegen angesichts des Zollkonflikts sogar für rasche weitere Leitzinssenkungen ausgesprochen. Der Zollkonflikt werde eine nicht zu vernachlässigende Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum haben, sagte der französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau in der vergangenen Woche der Tageszeitung „Le Monde“. „Es gibt noch Spielraum für Zinssenkungen“, sagte er.

Die Mehrheit der Marktteilnehmer erwartet eine Leitzinssenkung im Ausmaß von 25 Basispunkten. Die EZB werde mit ziemlicher Sicherheit die Zinsen erneut senken, schreibt auch Commerzbank-Ökonom Marco Wagner. Die EZB würde den für Banken und Sparer wichtigen Einlagensatz damit auf 2,25 Prozent senken.

Wegen der Zoll-Kapriolen von US-Präsident Trump haben die Abwärtsrisiken für Wirtschaftswachstum und Inflation deutlich zugenommen. EZB-Präsidentin Lagarde hat Mitte März erklärt, dass die Zölle das Wirtschaftswachstum um 0,25 Prozentpunkte dämpfen dürften.. Auch der Zins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, dürfte weiter sinken: Statt 2,65 Prozent wären es dann 2,4 Prozent.

Einlagenzinssatz könnte heuer unter zwei Prozent fallen

„Starke Argumente für weitere Zinssenkungen durch die EZB“ sehen auch die Ökonomen der UniCredit Bank Austria. Angesichts der Eskalation der Handelsspannungen seit der Ankündigung der „gegenseitigen“ Zölle in den USA haben sich die Risiken für die Wirtschaftsentwicklung in Europa deutlich nach unten verlagert, heißt es dort. „Eine Entscheidung zur Senkung der Leitzinsen um weitere 25 Basispunkte durch die EZB in der Sitzung am Donnerstag ist sehr wahrscheinlich geworden. Nach unserer Meinung überwiegt die Belastung durch höhere US-Zölle die positiven Wachstumsimpulse für die Eurozone durch eine expansivere Fiskalpolitik in Deutschland und auf EU-Ebene“, sagt Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria. Daher dürfte der „Zollschock die Annäherung der Inflation an das 2-Prozent-Ziel der EZB beschleunigen.

Was die künftige Entwicklung der Leitzinsen angeht, wird sich die EZB angesichts der hohen Unsicherheit voraussichtlich noch nicht festlegen. Vor allem die Entwicklung im Zollkonflikt ist schwer vorhersehbar. Die Verhandlungen zwischen der EU und den USA dürften hier entscheidend sein. Aber auch der besonders scharfe Konflikt zwischen den USA und China wird sich stark auf die Weltwirtschaft, damit auch auf die Eurozone auswirken.

Bruckbauer betont: „Wir rechnen mit weiteren Senkungen im Juni und September, wobei der Einlagenzins bei 1,75 Prozent seinen Tiefpunkt erreichen sollte“.