Die Währungshüter der Europäischen Zentralbank treffen sich am Donnerstag zur letzten Ratssitzung des Jahres in Frankfurt. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass die vierte Zinssenkung in diesem Jahr beschlossen wird. Laut der traditionellen Reuters-Umfrage gehen von 75 befragten Ökonominnen und Ökonomen 73 davon aus, dass die EZB eine Zinssenkung um einen Viertelprozentpunkt beschließen wird.

Damit würde die EZB ihren Ansatz der kleinen vorsichtigen Schritte nach unten fortsetzen. Der am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder horten und der mittlerweile als Leitzins gilt, würde dann von 3,25 Prozent auf 3,00 Prozent sinken.

Wirtschaftliche Risiken, politische Sorgenkinder

Die wirtschaftliche und politische Gemengelage ist derzeit auch für die Währungshüter nicht einfach. Neben zuletzt eher schwachen Konjunkturdaten aus der Euro-Zone haben auch die politischen Unsicherheiten angesichts der Regierungskrisen in den beiden größten Volkswirtschaften des Euroraums – Deutschland und Frankreich – zugenommen, zumal in Frankreich auch die ausufernden Staatsschulden und das sehr hohe Budgetdefizit Sorgen bereiten. Dazu drohen in der nahenden zweiten Amtszeit des designierten US-Präsidenten Donald Trump neue Zölle, die zu Handelskonflikten führen könnten und die europäische Wirtschaft zusätzlich belasten würden.

Auch Mitglieder des EZB-Rats, darunter Österreichs Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann, haben zuletzt klare Signale in Richtung einer kleinen Senkung gesendet. Holzmann hat im Interview mit der „Kleinen Zeitung“ bereits im November gesagt: „Es gibt im Moment nichts, was dagegensprechen würde, was aber nicht heißt, dass es automatisch dazu kommt.“ In den „Oberösterreichischen Nachrichten“ meinte er vor wenigen Tagen: „Wie die Datenlage derzeit aussieht, ist aus meiner Sicht eine Senkung um 0,25 Prozentpunkte denkbar, nicht mehr. Aber fix ist auch das noch nicht.“

Auch andere Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) signalisierten zuletzt ihre Bereitschaft für eine erneute Zinssenkung in der kommenden Woche – aber nur für eine vorsichtige. Die schwache Konjunktur und die gesunkene Inflation im Euro-Raum würden die Tür dafür öffnen, sagte der finnische Notenbankchef Olli Rehn der Tageszeitung „Helsingin Sanomat“. „Diese Faktoren haben die Rechtfertigung für eine Senkung des Leitzinses im Dezember verstärkt, und diese Richtung der Geldpolitik dürfte in den kommenden Monaten beibehalten werden.“ Der kroatische Notenbankchef Boris Vujcic sprach sich ebenfalls für eine vorsichtige Lockerung aus. „Wenn die Straße glatt ist, macht man kleine Schritte, und das ist es, was wir tun“, sagte er dem Nachrichtenportal „Politico“. „Ich glaube nicht, dass es im Dezember eine so schwierige Entscheidung sein wird.“

Senkungen im Juni, September und Oktober

Die EZB hatte im Zuge der abebbenden Inflationswelle in der Währungsunion, die im Oktober 2022 mit 10,6 Prozent ihren Höhepunkt erreicht hatte, im Juni erstmals wieder die Zinsen gesenkt. Sie legte dann im September und im Oktober nach. Der Einlagensatz, den Banken erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, und der inzwischen als Leitzins gilt, liegt derzeit bei 3,25 Prozent. Der Zins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, beträgt 3,40 Prozent.

„Früher erreicht als bisher vorausgesagt“

Zu ihrer Zinssitzung werden den Euro-Wächtern diesmal neue Konjunktur- und Inflationsprognosen der Notenbank-Volkswirte vorliegen. Die Ökonomen Simon Wells und Fabio Balboni vom Bankhaus HSBC erwarten eine leichte Senkung der Konjunkturprognose für dieses und das kommende Jahr. Bei der Inflation rechnen sie in einer Studie allerdings auch mit einer Revision der bisherigen Prognosen nach unten: „Wir gehen davon aus, dass die Prognosen nach unten korrigiert werden und dass das Zwei-Prozent-Ziel früher erreicht wird als bisher vorausgesagt.“ Die EZB sieht eine Inflation von 2,0 Prozent als Idealwert für die Wirtschaft der Euro-Zone. Bisher hatten die Notenbank-Volkswirte vorausgesagt, dass das Ziel im vierten Quartal 2025 erreicht werde. Jens Eisenschmidt, Chefvolkswirt Europa beim Bankhaus Morgan Stanley, erwartet bereits im zweiten Quartal 2025 eine Rate nahe der Zielmarke von 2,1 Prozent.

Auf der Pressekonferenz mit EZB-Chefin Lagarde nach dem Zinsbeschluss dürfte auch das Thema Frankreich angesprochen werden. Die Regierung von Ministerpräsident Michel Barnier ist über ein Misstrauensvotum gestürzt worden und bei Investoren kommen angesichts der hohen Staatsschulden des Landes und der Regierungskrise erneut Fragen auf, ob die EZB dem Land im Ernstfall unter die Arme greifen könnte. Kürzlich kletterte der Renditeabstand zehnjähriger französischer Staatsanleihen zu deutschen Bundesanleihen – die sogenannte Risikoprämie - mit rund 0,90 Prozentpunkten auf den höchsten Stand seit der Staatsschuldenkrise von 2012. Die Rendite französischer zehnjähriger Papiere zog zeitweise sogar mit der Rendite griechischer Anleihen gleich.