Stille. Da, wo ein erster lauter Schrei alle Gesichter zum Strahlen bringen sollte, ist nur Stille. Niklas atmet nicht, sein Herz schlägt nicht. Quälende zehn Minuten wird der Neugeborene reanimiert, nachdem er aus dem Bauch seiner Mutter geholt wurde, per Notkaiserschnitt, als die Herztöne schlechter und schlechter geworden waren. Von „Perinataler Asphyxie“ wird man später sprechen. Sofort wird seine Körpertemperatur auf 33 Grad Celsius gesenkt, um das Gehirn nicht zu überanstrengen. Die Ärzte können der Familie wenig sagen, das Hoffnung spendet. Ob Niklas überleben wird. Und falls ja, ob er je selbstständig atmen wird, irgendwann einmal greifen, sprechen, gehen.

Das erste Lachen – ein Feiertag

Doch Niklas, der auf seinem ersten Babyfoto unter all den Schläuchen, Kabeln und Pflastern kaum zu sehen ist, kämpft sich in sein Leben. Ein Leben, das für die Eltern Carina Werl (32) und Thomas Putzl (47) sowie ihre Tochter Lena-Sophie (4) viele Herausforderungen bereithält. „Die ersten eineinhalb Jahre hat Niklas extrem viel geschrien, oft zehn Stunden durch“, erzählt Carina Werl und stellt einen Teller mit frisch gebackenen Zimtschnecken auf den Tisch ihrer Trofaiacher Wohnung. Thomas Putzl nickt: „Bis drei Uhr in der Früh war er oft munter, das war schon anstrengend.“ Gerade hat er Niklas von seiner Kuscheldecke auf der Couch geholt und setzt sich mit ihm an den Tisch. Liebevoll streichelt er über seinen vom Schlafen zerwuschelten Haarschopf. „Einschlafen kann er auch jetzt noch nur auf uns. Wenn er ein paar Minuten fest schläft, dann kannst du ihn in sein Bett legen. Wie Bomben entschärfen, haben wir früher gesagt. Eine falsche Bewegung – und schon war es vorbei.“

Ein Herz und eine Seele: Niklas und seine große Schwester Lena-Sophie
Ein Herz und eine Seele: Niklas und seine große Schwester Lena-Sophie
© Wolkenstein Elisabeth Fotoliesl

Lena-Sophie weiß von Anfang an, dass ihr Bruder ganz viel Fürsorge braucht und nimmt auch die Schreikrämpfe gelassen hin. „Wenn er geschrien hat, ist sie einfach in ihr Zimmer gegangen und hat gespielt“, lobt die Mama ihre Tochter, die heute vom Kindergarten zu Hause geblieben ist, weil die Nase rinnt und ein hartnäckiger Husten sie quält. Sowieso sei ihr Bruder, so Carina Werl, ihr Ein und Alles: „In der Früh ist das erste, dass sie hingeht zum Niklas und ihm ein Bussi gibt. Sie ist ein Wahnsinn. Wenn er weint, geht sie zu ihm, streichelt ihn und sagt: ,Wird schon wieder gut, Niklas‘“. Lena-Sophie nickt zufrieden, zieht noch einmal ordentlich die Nase hoch und holt sich ihre zweite Zimtschnecke, nicht ohne vorher der Mama einen fragenden Blick zuzuwerfen. Für Niklas, dessen Diagnose „Spastische Tetraparese mit schwerster psychomotorischer Retardierung“ lautet, ist seine Schwester ein Zentrum seiner kleinen Welt, wissen die Eltern: „Wenn die Lena-Sophie vom Kindergarten nach Hause kommt, dann nimmt er das wahr. Dann lacht er gleich und dreht den Kopf zu ihr.“ Apropos Lachen: Ein Feiertag sei es gewesen, als Niklas zum ersten Mal gelacht habe. Und jetzt? „Das, was er früher geweint hat, das lacht er jetzt. Er ist eine richtige Kichererbse, unser Niklas“, freuen sich die Eltern.

„Selbstverständlich ist gar nichts“

Auch wenn Niklas keine zielgerichteten Bewegungen ausführen oder sitzen kann, sei doch vieles leichter geworden, erzählt Thomas Putzl, der in Leoben als Busfahrer arbeitet. Vor allem die beängstigenden epileptischen Anfälle seien stark zurückgegangen, und eine kritisch niedrige Sauerstoffsättigung, die ein Pulsoximeter eines Nachts angezeigt hat, hat sich nicht mehr wiederholt. Obwohl Niklas nicht sprechen kann, wissen sie genau Bescheid, wie es ihm geht, sagt Thomas Putzl: „Als Papa und Mama lernt man zu verstehen, was er gerade braucht. Wenn er Hunger hat, dann hat er zum Beispiel seine eigenen Geräusche.“ Die Eltern ahmen nach, wie es sich anhört, wenn Niklas hungrig ist, schauen sich an und lachen herzhaft. Auch Niklas gluckst und ballt seine kleinen Fäuste, dann röchelt er aber wieder. „Bronchitis hat der Kleine eigentlich immer, weil er den Schleim nicht heraushusten kann“, erklärt Carina Werl. Nachdenklich fährt sie fort: „Bei der Lena-Sophie war alles so selbstverständlich: Sie hat sich aufgesetzt, ist gekrabbelt, das hat man gar nicht hinterfragt, das war einfach normal. Jetzt wissen wir: Selbstverständlich ist gar nichts. Man schaut auf einmal ganz anders auf alles.“

Ein neues Zuhause und viele Kosten

Die Sorgen um die Gesundheit ihres Buben sind zum Glück weniger geworden, die finanziellen Sorgen hingegen, die wachsen. In das Auto passte der Reha-Buggy freilich nicht hinein – ein größeres Auto musste angeschafft werden, die Leasing-Raten sind ein neuer Posten im Haushaltsbudget. Und dann noch die Wohnung: Erst vor drei Jahren ist Familie Werl von Eisenerz nach Trofaiach gezogen – in eine Wohnung, die für eine vierköpfige Familie genau richtig schien. Dass einmal ein sperriger Reha-Buggy in der gemütlichen Wohnung Platz finden muss, ein Stehständer Platz beansprucht und noch andere Geräte, damit konnte keiner rechnen. Nun wurde ein passendes Haus für die Bedürfnisse der Familie gefunden, mit Garten. „Dann kann die Lena-Sophie draußen weiterspielen, wenn ich mit dem Niklas schnell hinein muss“, freut sich Carina Werl. Aber: „Die ganzen Kosten rund um den Hauskauf mussten wir stemmen – wir haben zusammengekratzt, was nur gegangen ist. Finanziell sind wir jetzt fertig. Deshalb haben wir gesagt, das Bad muss warten, aber es ist klar, dass wir das angehen müssen. Der Niklas wächst ja richtig schnell!“. Was zu tun ist? Eine Wand muss raus, damit das Bad rollstuhltauglich ist, eine barrierefreie Dusche wird benötigt.

Helfende Hände gesucht

Aber zuerst einmal wird gesiedelt, in der ersten Aprilwoche geht es los. Kopfzerbrechen bereiten der Familie auch noch verschiedene Arbeiten im neuen Haus, die sie neben Erwerbsarbeit und Betreuungspflichten kaum schaffen. „Wenn uns in der ersten Aprilwoche jemand helfen könnte beim Herunterreißen der Tapeten und beim Ausmalen – das wär‘ schon eine große Hilfe!“, hofft Carina Werl auf Unterstützung. Und so freut sich die kleine Familie auf ihr neues Zuhause. Lena-Sophie freut sich vor allem auf die Häschen, die bald im Garten herumhoppeln werden. Wobei: Diesem Wunsch müssen die Eltern erst zustimmen. Aber so eifrig, wie sie der Mama immer in der Küche hilft und sich liebevoll um ihren Bruder kümmert, stehen die Chancen wahrscheinlich gar nicht so schlecht.