Zwei Männer sitzen am Dach eines Altstadthauses am Grazer Hauptplatz und warten auf ihr Zeichen. Gut 20 Meter weiter unten sammeln sich unterdessen Unternehmerinnen und Unternehmer der Stadt, darunter so prominente Köpfe wie Martin Wäg, Martin Auer und Hans Schullin. Rund 70 Leute sind es dann, die um 9 Uhr Aufstellung nehmen. Sie sind dem Aufruf der Wirtschaftskammer gefolgt, namentlich von Kammerboss Josef Herk und Graz-Obmann Bernhard Bauer.

„Graz als Wirtschaftsmotor stottert“, so Herk. Und wenn man zu lange zuschaut, „dann gibt es einen ‚Verreiber‘“. Fachsprache für: Motorschaden. Und die Stadtpolitik schaue nur zu, lautet der Befund der Kammer. Spätestens mit dem angekündigten Aus für Sacher und Manner sei Handlungsbedarf. Daher hat man sich zu der öffentlichen Protestaktion entschlossen. „Aber das ist nicht gegen einzelne Politiker oder Behörden gerichtet“, betont Bauer. „Alles, was wir wollen, ist, dass wir mit am Tisch sitzen, wenn Entscheidungen getroffen werden, die auch die Wirtschaftstreibenden in dieser Stadt betreffen.“

Protest der Wirtschaftskammer: „Erst wenn der letzte Händler zugesperrt hat...“

Während die Kammer-Spitze spricht, schreiten die beiden Männer am Dach ans Werk. Sie lassen an der historischen Häuserfassade ein Transparent herunter, auf dem groß gedruckt der Spruch steht: „Erst wenn der letzte Händler zugesperrt hat, die Industrien stillstehen und niemand mehr Unternehmer:in sein will, werdet ihr erkennen, dass die Stadt von Verkehrsberuhigung und Sozialpolitik allein nicht leben kann.“

„Aber das ist keine Kritik an Klimaschutz und Sozialpolitik“, so Bauer und Herk. Vielmehr brauche es drei Standbeine für eine florierende Stadt – aber das dritte Bein, nämlich die Wirtschaft, komme derzeit zu kurz. „Die Wirtschaft ist die Basis, die alles andere finanziert“, ruft Herk der linken Stadtkoalition im Rathaus zu. Die Kammer vermisst bei Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) und Vize Judith Schwentner (Grüne) das Verständnis für die Bedürfnisse der Unternehmer.

Ein Manifest von und für die Grazer Wirtschaft

„Ich war vor Kurzem bei einer Eröffnung eines neuen Geschäftes in der Innenstadt“, erzählt Herk. „Da kommt auch ein Beamter der Stadt vorbei, aber nicht etwa, um zu gratulieren, nein: Das Firmenlogo sei um zwei Zentimeter zu groß und stehe zu weit von der Fassade ab.“ So könne das nicht weitergehen.

Das ist freilich eine altbekannte Klage. Wie auch Forderungen aus dem Manifest für die Wirtschaft teils schon bekannt sind. Warum hat es früher, als die ÖVP den Bürgermeister stellte, nie solche Protestaktionen gegeben? „Das gesamte Umfeld ist heute anders. Unser Protest ist unabhängig davon, wer gerade im Rathaus regiert“, sagt Bauer. Dass in eineinhalb Monaten die Wahlen in der Wirtschaftskammer anstehen, dürfte aber jedenfalls eine Rolle gespielt haben.

„Wir leben in wirtschaftlich angespannten Zeiten“, sagt Kastner-Chef Martin Wäg. Da sei es natürlich Aufgabe der Unternehmer, Antworten zu finden, „aber es geht dann dabei auch um Rahmenbedingungen, die wir vorfinden.“ Und diese seien derzeit nicht ideal, das Wort Entbürokratisierung hört man an diesem Vormittag oft.

Auer, Wäg und Schullin waren beim Protest dabei

Bäcker Martin Auer will mit seiner Anwesenheit die Bedeutung des Themas unterstreichen, aber „nicht polemisieren. Es ist kein Entweder/Oder, sondern immer ein sowohl/als auch“. Es sei nicht schön, wenn man ein Geschäft eröffnet „und links und rechts davon ist Leerstand“. Juwelier Hans Schullin nickt zustimmend: „Leerstand drückt eine gewisse Verödung aus.“ Der wolle man entgegenwirken.

Da darf das Thema Verkehr nicht fehlen. WK-Graz-Obmann Bauer unterstreicht noch einmal, dass die Kammer beim Mobilitätsplan 2040 bislang nicht einbezogen war, „nur ein Video-Call von einer Stunde, wo die Metaziele vorgestellt wurden“. Es gelte, die Erreichbarkeit der Innenstadt zu gewährleisten.

„Ich liebe es, die zwölf Kilometer von Zuhause in die Stadt mit dem Rad zu fahren“, erzählt Schullin. Nachsatz: „Wenn es die Witterung erlaubt. Sonst nehme ich das Auto.“ Er sieht im Parkring um das Zentrum in Udine ein Vorbild für Graz.

Move It: Protest gegen die Protestkundgebung

Am Rande der Protestaktion protestierte auch die Verkehrsinitiative „Move It“: „Graz braucht Innovationen statt Negativkampagnen“. Durchzugsverkehr sei keine Lösung für das Zentrum. Mit eigenen Plakaten hatte man sich kurzfristig unter die Unternehmer gemischt.

Seitens der Koalition spricht KPÖ-Klubchefin Sahar Mohsenzada angesichts der bevorstehenden Wirtschaftskammerwahl von „einem durchschaubaren Spiel“. Die Botschaft, dass durch den Öffi-Ausbau und die Sozialpolitik die Wirtschaft ins Hintertreffen gerate, „ist unsachlich und rein politisch motiviert“.

Die Grünen betonen, die „Grazer Unternehmer:innen zu verstehen“ und fordern ihrerseits von der Wirtschaftskammer ein, endlich Lösungen für jene Probleme zu präsentieren, mit denen diese konfrontiert sind – nämlich Online-Handel, die hohe Dichte an Einkaufszentren in und um Graz und die allgemeine Kaufzurückhaltung. „Das permanente Schlechtreden schadet dem Wirtschaftsstandort“, so Gemeinderat Christian Kozina-Voit.

Für die SPÖ sagt Innenstadt-Gastronom und Gemeinderat Arsim Gjergji: „Ich verwahre mich dagegen, dass wir Unternehmer:innen jetzt zum Spielball einer wahlkämpfenden WKO oder der Opposition werden: Deren negative Darstellung unserer Stadt ist nicht akzeptabel!“ Es werde der Eindruck erweckt, dass „die Innenstadt fast nur noch mit einer Drohne erreichbar ist. Diese dramatische Übertreibung schadet dem lokalen Gewerbe.“