Die Welt gerät aus den Fugen, der Krieg in der Ukraine und immer neue Bedrohungen bestimmen die täglichen Schlagzeilen. In diesem Umfeld etabliert sich derzeit in Graz ein Kompetenzzentrum für Sicherheitsforschung. Die Universität Graz und das „Austrian Center for Intelligence, Propaganda & Security Studies“ (ACIPSS) vertiefen ihre bisherige lose Kooperation und wollen mit ihrer wissenschaftlichen Grundlagenarbeit auch die heimischen Sicherheitsbehörden unterstützen.

Der Zeitpunkt für die Zusammenarbeit (vorerst fixiert bis Ende 2029) ist kein Zufall. Nahezu alle öffentlichen Bereiche in Österreich sind bald von massiven Sparmaßnahmen betroffen, am wenigsten jedoch die Sicherheit. Und was Expertise in Sachen Geheimdienste, Propaganda und Extremismus betrifft, hat sich das in Graz ansässige ACIPSS in den 20 Jahren seines Bestehens über die Grenzen hinaus einen hervorragenden Ruf erarbeitet. „Vielen ist nicht bewusst, dass wir im deutschsprachigen Raum eine Vorreiterrolle einnehmen“, sagt Paul Schliefsteiner, der gemeinsam mit Jeremy Stöhs das Forschungszentrum leitet. Beide Akademiker betreiben diese Arbeit jedoch ehrenamtlich bzw. nebenberuflich – so wie eine Handvoll weiterer Experten im Rahmen von ACIPSS.

Jeremy Stöhs und Pauls Schliefsteiner leiten das ACIPSS
Jeremy Stöhs und Pauls Schliefsteiner leiten das ACIPSS © Wilfried Rombold

„Der Bedarf, sich umfassend mit dem Thema Sicherheit auseinanderzusetzen, war noch nie so groß wie jetzt“, betont Stöhs. Nicht nur das Kriegsgeschehen an sich und die Einflussnahme externer Akteure durch Formen hybrider Kriegsführung beeinflusse unser Leben massiv. „Ein wesentliches Thema ist auch der vermeintliche Verlust sicher geglaubter Partner und Allianzen“, spricht Stöhs den neuen Kurs der US-Regierung an. Nicht zuletzt gehe es um die Gefahren durch die Radikalisierung und der Polarisierung der Gesellschaft. All das müsse näher erforscht und der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. „Wenn wir nur untereinander diskutieren, reicht das nicht aus“, so Stöhs.

Staatsschutz gewährt Zugang zu Daten

Extremismus, Radikalisierung und demokratiefeindliche Entwicklungen werden auch den Forschungsschwerpunkt in den nächsten Monaten bilden. In diesen Bereichen will man sich auch mit „Praktikern“ vernetzen, so etwa der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienste (DSN). Deren stellvertretende Leiterin Sylvia Mayer ist von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der Wissenschaft überzeugt: „Es gab zwischen 2023 und 2024 eine Verdreifachung an hybriden Attacken durch Russland in Europa. Wir sehen eine neue Vielfalt an Bedrohungen, von subversiven Maßnahmen, Desinformation über Cyber-Operationen bis hin zur Sabotage. Auch die Komplexität der Bedrohungen nimmt zu, insbesondere mit den neuen Technologien wie Künstliche Intelligenz.“ Man könne den Forschern hier Zugang zu Datenmaterial und Fallgeschichten gewähren. Im Gegenzug hofft Mayer, für die Aufgabe des Staatsschutzes, „Frühwarnsystem für die Republik zu sein“, besser gerüstet zu sein.

Sylvia Mayer, Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienste (DSN)
Sylvia Mayer, Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienste (DSN) © Wilfried Rombold

Auch im Bereich des Extremismus und Terrorismus sei die Vernetzung mit der Wissenschaft immer wichtiger. „Eine starre Zuordnung in Links- und Rechtsextremismus ist nicht mehr möglich. Es gibt auch Mischformen, wie zum Beispiel die Demokratie-ablehnende Szene.“ Um zu wissen, wo man mit der Prävention ansetzen könne, brauche man die Unterstützung der Forschung, betont Mayer. „Wissenschaft ist der Kompass und wir, die Sicherheitsbehörden, bilden den Schutzschild.“

Studierende können hineinschnuppern

In erster Linie soll sich die Kooperation auf die Sicherheitsforschung beschränken. Ab dem Wintersemester will man an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Graz aber auch spezifische Lehrveranstaltungen anbieten, kündigen Uni-Rektor Peter Riedler und Dekanin Gabriele Schmölzer an. Angedacht ist eine Einführungsvorlesung in das Fach „Intelligence Studies“ sowie „kleinere Pakete aus drei bis vier Lehrveranstaltungen, um in das Thema hineinschnuppern zu können“, so Schmölzer.