Mitten in der Nacht hat Lisa* ihre Sachen gepackt, in der Früh dann ihre Kinder. Anna* ist bereits zum dritten Mal hier, sie will nie mehr zurück zu „ihm“. Die beiden Frauen haben den Weg ins Frauenhaus geschafft. Der Schritt war nicht leicht, die Scham groß. Namen und Alter der Frauen sind zu ihrem Schutz geändert, manche Details ihrer Geschichten werden nicht genannt, um sie keiner Gefahr auszusetzen. Denn die Angst vor den Tätern, die bleibt. Selbst in diesem anonymen Gespräch. Und diese Angst hat ihre Gründe.

Anna dreht die Hände von links nach rechts, schlussendlich findet sie Halt über dem linken Knie. Ihre Beine sind übereinandergeschlagen. Ihr rechter Fuß wackelt am Boden, ihr linker Fuß zittert in der Luft. „Entschuldigung, ich bin jetzt doch nervös.“ Bevor sich die Tränen über ihre Wangen bahnen können, schluckt sie. „Entschuldigung“, sagt sie erneut, obwohl es nicht nötig wäre. Anna ist es gewohnt, sich schuldig zu fühlen. Dafür sorgte ihr Ex-Partner. „Nein, bitte fang doch du an.“ Lisa beginnt zu reden.

Vom Grauen in den eigenen vier Wänden

Bei allem, was Lisa alleine oder mit den Kindern machen will, muss sie um Erlaubnis fragen. „Er“ verbietet es nicht nur, er wird sauer, wenn sie fragt. Ihr Mann isoliert sie immer mehr. Er beschimpft sie, treibt Psycho-Spiele, führt ein „aggressives Regime“, droht ihr, „erhebt die Hand“ – ins Detail geht Lisa dabei nicht. Halt macht er auch nicht vor den Kindern. „Ja, das heißt, Schläge. Es ist so schlimm, weil er hat nicht aufgehört, auch wenn ich es versucht habe. Es war schrecklich.“ Man fühle sich machtlos. Sie will nur mehr weg, ihre Kräfte sind am Ende.

Auch Anna kann nicht mehr. Ihr Partner bezeichnet sie – die Mutter seiner Kinder, die daheim sitzt – als Schlampe. Er bespuckt sie, er tritt sie. „Einmal hat er mir gedroht, alle Zähne auszuschlagen“. Wie weit ging die Gewalt? Anna schüttelt nur den Kopf, wendet den Blick ab. Die Geste sagt mehr als Worte.

Jede dritte Frau von Gewalt betroffen


Laut Statistik Austria hat jede dritte Frau in Österreich (ab 15 Jahren) schon einmal körperliche und/ oder sexuelle Gewalt in oder außerhalb einer intimen Beziehung erlebt. Mutter, nein. Schwester, nein. Die Nachbarin, ja. Kollegin, nein. Kellnerin, nein. Die Freundin, ja. Apothekerin, nein. Lehrerin, nein. Die Verkäuferin, ja. So in etwa würde diese schlimme Rechnung lauten. Polizeilichen Schätzungen zufolge, heißt es vom Bundeskanzleramt, werden rund 90 Prozent aller Gewalttaten gegen Frauen in der Familie oder durch Bekannte ausgeübt.

Wieso bist du so lange geblieben, wieso bist du nicht gegangen? Fragen, die Anna und Lisa gut kennen. Fragen, die sie sich selbst stellen. Die Schuldgefühle sind groß. „Aber irgendwie steckst du drin, du erzählst das auch nicht herum, denkst, dir glaubt eh keiner“, sagt eine der Frauen. Man versuche sich zunächst, das alles schönzureden, es wäre ja nur einmal passiert, doch dann passiert es wieder. „Am Anfang willst du es nicht wahrhaben. Dann entschuldigt er sich, du willst ihm glauben“, erzählt die andere. Die psychische Gewalt, meinen beide, würde man unterschätzen. „Er konnte so switchen: In einem Moment der netteste Mensch, den man sich vorstellen kann, und dann ...“

Wenn aus Liebe Angst wird

Am Anfang stand da ja auch einmal die Liebe im Raum. Doch dieses Gefühl verblasse über die Zeit, ein anderes herrsche vor: Angst. „In einem Bett schlafen magst du natürlich nicht mehr“, sagt Lisa, „aber er holt sich eh, was er will“. Anna nickt bejahend: „Man hofft einfach, dass es schnell vorbeigeht.“ Die Frauen schweigen. Nicht nur sie sitzen für einen Moment stumm und starr da.

Schlussendlich wurde nichts besser, geändert hat er sich auch nicht“, fängt Anna nach ein paar Minuten wieder an, sie holt tief Luft. „Ich hab‘ mir gesagt, es gibt ja noch viel schlimmere Fälle....“, sagt Lisa. Irgendwann glaubt sie selbst, sie sei das Problem. „Dein Selbstwert ist am Boden.“

Neben den Frauen liegen Spielsachen auf dem Teppich, das Frauenhaus ist auch für Kinder eingerichtet, die hier gemeinsam mit ihren Müttern einen neuen Alltag ohne Gewalt suchen. „Der Zusammenhalt mit den anderen Frauen, da entstehen Freundschaften, und das Therapieangebot für mich und für die Kinder, das hilft“, sagt Anna. Auch wenn sie nach wie vor Angst hat, auf die Straße zu gehen. „Man spricht mit den anderen, die Ähnliches erlebt haben“, sagt Lisa.

Einmal wieder Vertrauen in einen Partner zu fassen, sich neu zu verlieben, das können sich die beiden derzeit nicht vorstellen. Sie haben Liebe mit Gewalt erlebt, so wurde es ihnen vermittelt. Doch das ist keine Liebe, das lernen sie gerade selbst.

Die Politik rühmt sich, wenn Gewaltschutzmaßnahmen vorgestellt werden. Fakt ist, in Österreich fehlt es in dem Bereich nach wie vor an vielen Ecken. Frauenhäuser sind ausgelastet, vor Weihnachten nehmen die Anfragen zu, in Österreich gab es heuer bereits 27 Femizide.

Wie viele Frauen hinter geschlossenen Türen jeden Tag Gewalt erleben, ist unklar. Statistiken können nie die exakten Zahlen liefern, weil sich viele Frauen fürchten, darüber zu reden, geschweige denn Anzeige zu erstatten. Anna und Lisa haben gesprochen. Sie sind stärker als sie glauben. Aber bis sie das selbst erkennen, wird wohl noch viel Zeit vergehen.