Die Visitenkarte von Martin Schmitt liest sich ganz ordentlich: Zweifacher Gesamtweltcupsieger, 28-facher Weltcupsieger, Olympiasieger mit der Mannschaft und zweifacher Einzel-Weltmeister. Kurzum, der Mann weiß, wovon er spricht, wenn es um das Thema Skispringen geht. Sein Know-how gibt der mittlerweile 47-jährige Sportwissenschafter heute als TV-Experte bei Eurosport an die Zuschauer weiter und wird wie Markus Eisenbichler auch bei der am 29. Dezember in Oberstdorf startenden Vierschanzentournee für den TV-Sender im Einsatz sein.

Die Ausgangslage vor der 74. Auflage des alljährlichen Schanzenspektakels scheint klar: Dauer-Sieger Domen Prevc ist der erklärte Favorit auf den „Goldenen Adler“, als größte Herausforderer gelten die Japaner Ryoyu Kobayashi und Ren Nikaido sowie der Deutsche Philipp Raimund. Und die Österreicher? Im rot-weiß-roten „Adlerhorst“ befinden sich ausgerechnet die Topspringer der vergangenen Jahre in einem Abwärtsstrudel: Jan Hörl und Stefan Kraft schafften es bei der Generalprobe in Engelberg nicht in die Top zehn, Titelverteidiger Daniel Tschofenig verpasste sogar das Finale der besten 30.

Unterschiedliche Situationen

Da drängt sich freilich die Frage auf, ob die ÖSV-Weitenjäger, die im Vorjahr die Top drei in der Tournee-Endabrechnung stellten, noch rechtzeitig vor dem Großevent die Kurve zurück Richtung Erfolgsspur kriegen. „In einer Mannschaft kann sich schnell eine Dynamik bilden. Meistens im positiven, ab und zu aber auch im negativen Sinn“, sucht Schmitt nach einer Erklärung, warum es gleich bei allen drei Dominatoren der Vorsaison derzeit nicht nach Wunsch klappt. Doch die aktuelle Situation sei bei dem Trio unterschiedlich: „Jan hatte einen starken Sommer und ist mit entsprechend hohen Erwartungen in die Saison gegangen. Da es dort aber nicht mehr so gut funktioniert hat, ist er auf Fehlersuche gegangen. Man muss in den Bewegungsablauf eingreifen, weil die Automatismen nicht mehr so funktionieren und dann schleicht sich schnell eine Verkrampfung ein. Da wieder Selbstvertrauen und Sicherheit zu bekommen, ist ein Prozess, der Geduld voraussetzt.“

Bei Tschofenig ortet Schmitt die Problematik woanders: „Es ist jetzt die zweite Saison, in der er in der Vorbereitung aufgrund von Verletzungen nicht optimal trainieren konnte. Dadurch fehlt ihm eine gewisse Anzahl an Sprüngen, um seine Automatismen abrufen zu können.“ Anstatt geduldig zu bleiben und auf sein Können zu vertrauen, hätte auch der Kärntner in sein System eingegriffen.“ Sein Ratschlag: „Für beide heißt es, ruhig zu bleiben. Sie waren in der Vorbereitung stark und das ist jetzt ja nicht einfach weg. Sie brauchen nur ein kleines Aha-Erlebnis, dann sind sie wieder da.“

Chance für Embacher und Schuster

Mit an Bord des Eurosport-Teams ist seit heuer auch Eisenbichler, der erst im Frühjahr seine Skisprung-Latten endgültig an den Nagel gehängt hat. Und für „Eisei“ ist es die erste Tournee aus neuer Perspektive: „Ich kann Weihnachten etwas festlicher begehen, ein Steak mehr essen und ein Bier mehr trinken“, scherzt der Bayer, der in der schwierigen Tournee-Ausgangslage der Österreicher auch eine Chance sieht: „Und zwar für Stephan Embacher und Jonas Schuster. Sie standen jetzt lange im Schatten und könnten die Rolle der Zugpferde übernehmen.“ Wobei der 34-Jährige auch auf das Können von Kraft setzt: „Bei ihm mache ich mir keine Sorgen, er ist erfahren und wird auf seiner Lieblingsschanze in Oberstdorf parat sein. Er ist in einer optimalen Position: Er hat alles erreicht, ist gerade Vater geworden und fit. Krafti muss nur Garmisch überstehen, dann wird er gefährlich.“

Markus Eisenbichler
Markus Eisenbichler © KLZ/Nadine Rupp

Härter ins Gericht geht Eisenbichler mit Tschofenig: „Mir gefällt vor allem seine momentane Körpersprache nicht. Er freut sich auch nicht über kleine Erfolgserlebnisse und stellt sich selbst in einen Negativstrudel hinein. Es hilft nichts, wenn er sich selbst immer weiter runterzieht, stattdessen muss er jeden noch so kleinen positiven Schritt für sich selbst feiern.“ Und Hörl? „Wenn er wieder den Sprung findet, den er kann, wird es bei ihm schnell wieder nach ganz oben gehen. Momentan geht er den Sprung zu aggressiv an und lässt sein gutes System nicht wirken.“

In einem sind sich Schmitt und Eisenbichler auf alle Fälle einig: „Wichtig ist, dass sie nach der ersten intensiven Saisonperiode die Feiertage nützen, um vom Kopf her vom Skispringen etwas wegzukommen und neue Kraft tanken. Denn man muss bei der Tournee handlungsfähig sein“, betont Schmitt.