Nein“, sagte Katharina Liensberger auf die erste Frage. Nämlich die, ob sie selbst gewusst habe, warum sie im Ziel nicht gewonnen hatte, sondern als Zweite hinter der Italienerin Marta Bassino gewertet wurde; obwohl alles zeitgleich war. „Ich habe 0,00 stehen gesehen auf der Anzeigentafel und habe gedacht, wir sind ex aequo. Die genauen Reglements habe ich erst nachher mitgekriegt“, bekannte die Vorarlbergerin. Ob sie die Regel denn erklären könne, wurde sie gefragt. „Nein, ich muss es selbst erst nachlesen. Vielleicht war sie auf dem blauen Kurs schneller“, meinte sie.

Sie meinte falsch. An sich orientierte man sich an der Internationalen Wettkampfordnung IWO, die den zweiten Lauf im Fall der Zeitgleichheit heranzieht. Allerdings nur, wenn es um den Aufstieg geht. Denn während Liensberger Interview um Interview abspulte, suchte man dort fieberhaft nach der Ergänzungsregel, die in den Weltcupregeln festgeschrieben ist. Und die besagt: Im kleinen und im großen Finale gibt es nämlich sehr wohl eine Ex-aequo-Platzierung. Womit wir wieder bei Katharina Liensberger und den Interviews sind: Denn just in diesem Moment, als sie feststellte, dass die Regel „heute sicher kein Vorteil für mich war“, ging der FIS-Verantwortliche vorbei und flüsterte Pressebetreuerin Manuela Riegler zu, dass nun alles anders sei. Und die rief: „Hei, hei – du hast Gold!“

Kurios, grotesk – und doch gerecht. Denn niemand hätte verstanden, warum man im Finale eine Reihung vornimmt, wenn beide Läuferinnen gleich schnell sind. Und Liensberger genau genommen sogar die schnellere addierte Zeit hatte. Und während Liensberger ihr Glück gar nicht fassen konnte – „Ich weiß jetzt gar nicht, was ich sagen soll“ –, überschlugen sich die Ereignisse im Ziel. Und Damen-Cheftrainer Christian Mitter legte per Funk nach, erklärte die Regel und endete mit: „Du bist Weltmeisterin.“ Und plötzlich war der Satz, den Liensberger nur Sekunden davor gesagt hatte: „Die Goldene muss wohl noch warten“, nur noch Teil der grotesken Geschichte.

Das passt noch genau dazu, hab ich mir gedacht“, meinte Mitter später. „Ja, wir hätten vor dem Rennen die Silberne genommen, aber ex aequo nach unmöglicher Ausgangslage, dann fühlt es sich an, als ob man die Goldene verliert.“ Und, so verriet der Steirer, kurz sei ihm die US-Präsidentenwahl in den Sinn gekommen, „weil da gewinnt ja auch nicht immer der mit den meisten Stimmen“. Er habe die Regel hinterfragt, aber: „Das Format wurde ja erst zum zweiten Mal gefahren, so gut kennen da alle die Regeln noch nicht. Toni (Giger, Anm.) hat zum Glück dann die Passage gefunden.“

Und Liensberger? „Es ist einfach nur genial“, sagte sie, „das kann ich wirklich grad nicht glauben.“ Eine Goldmedaille zu gewinnen, das „ist schon was ganz Spezielles“. Diese Art und Weise macht es wohl noch spezieller. „Ich habe bisher im Team immer Silbermedaillen gewonnen, aber Gold ist das, was wirklich glänzt. Dass es für Gold gereicht hat, dass ich das mit der Marta ex aequo genießen darf, das freut mich einfach riesig.“ Und dann kam bei Liensberger schnell wieder durch, was sie ist: professionell. Die Dankbarkeit, die sie zum Ausdruck brachte, der sofortige Fokus auf die kommenden Aufgaben. Und die Erklärung ihres Jubels, den sie in den Vorrunden zeigte – mit der Hand auf dem Herz: „Weil ich endlich mit Herz gefahren bin, so wie es der Präsident immer gesagt hat.“

Hand aufs Herz: Es war das Ende eines kuriosen Tages, ein goldenes Ende. Eines, das man nicht oft erlebt. Und vor allem war es ein Happy End für alle Beteiligten. Vor allem für Kathi Liensberger.