Aufwärmen mit lockerem Gedankenkreisen in einem erfundenen Albtraum … stellt euch vor: Blackout, Hackerangriff, entfesselte KI – und über Nacht ist der Spitzensport verschwunden. Die Hardware – Anlagen, Stadien, Strecken, Schanzen – wäre bereit, aber das Betriebssystem ist gelöscht. Keine Bewerbe, keine Rennen, keine Spiele. Keine Coaches, Teams, Athleten. Keine Ereignisse, Erlebnisse, ­Ergebnisse. Keine Fans. Keine Emotionen. Keine Geschichten.

In welcher Welt würden wir aufwachen? Wir wollen es gar nicht wissen.

Ein Kaleidoskop an Sehnsucht, Schönheit und Sinn

Selbst Sportignoranten würden spüren, dass da etwas Unersetzbares verloren gegangen ist. Ein Kaleidoskop an Sehnsucht, Schönheit und Sinn. Ein Streamingdienst für die Seele, der 24/7 rund um den Globus in dreieinhalb Milliarden Menschen (bei Olympia und Fußball-WM sind es fünf) Adrenalin, Dopamin und Oxytocin freisetzt. Kein Gigant des Medienzeitalters kann mit den Reichweiten des Superstreamers Sport mithalten: Auch für Facebook, Instagram, WhatsApp, Google, YouTube, Amazon Prime und Netflix wäre eine Welt ohne Sport ein Albtraum – und ein harter Cut in ihren Geschäftsmodellen.

Nicht alles im Sport ist großes Kino, aber schon vieles klassischer Stoff: Epen, Mythen, ­Tragödien, Dramen, Komödien und alles dazwischen. Sport gibt es fast schon so lange wie die Menschheit selbst. Und alle Grundbedürfnisse, die uns als Spezies im Innersten ausmachen, ­erfüllt er: Er gibt Sicherheit, sorgt für Abwechslung, sprudelt Beachtung, stiftet Nähe und Zu­gehörigkeit. Als Grundmetapher für Entwicklung und Gemeinschaftsgeist ist er eingebettet in den völkerverbindenden Sinnkontext von einer bes­seren, faireren, friedlicheren Welt.

Sport hat sich im Zeitraffer der Geschichte nicht nur als eine der wichtigsten Nebensachen der Welt etabliert, sondern seit der Industriali­sierung auch als Markt – im Positiven wie im ­Negativen. Heute sind mehr als 150 Sportarten weltweit in Verbänden für den Spitzensport­betrieb organisiert. Sport ist eine globale Indus­trie mit einer Wertschöpfung von 2,4 Billionen Euro – eine Wirtschaftsleistung vergleichbar einem G7‑Staat wie Frankreich.

Schneller, höher, weiter – mehr? Im innersten Kern ist Sport Bewegung und Begegnung. Er trägt ein wertvolles Set an Werten in sich – Disziplin, Fairness, Respekt, Teamgeist, Hingabe –, das ihn mit gesellschaftlicher Vorbildfunktion ausstattet. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Sport ist auch ein härter werdender Wettbewerb außerhalb der Wettbewerbe nach den Regeln von Angebot und Nachfrage, Sichtbarkeit und Reichweite, Investition und Rendite.

Vorturner einer Hochleistungsgesellschaft

Waren Athleten früher oft einer Instrumen­talisierung durch politische Machtsysteme aus­gesetzt, sind sie heute die Vorturner einer Hochleistungsgesellschaft und ihrer Marktwirtschaft. Nicht nur in den jeweiligen Sportarten stehen Profisportler in Konkurrenz, sondern spartenübergreifend auch als Einzelunternehmer, die das große Rad in Schwung halten. Die Nieder­lassungsfreiheit ist – außer bei Doppelstaats­bürgern wie mir – eingegrenzt, die meisten Sportarten sind national organisiert. Was erlaubt ist, bestimmen Monopolbetriebe, internationale und nationale Sportverbände, die als Gesetzgeber und Treuhänder der Sportbegeisterung fungieren und wie Konzerne funktionieren.

Im modernen Spitzensportbetrieb ist Geld das eine Währungssystem und Aufmerksamkeit das andere – beide bedingen einander im multimedialen Teilchenbeschleuniger. Wer im Sport-Streaming-Karussell sichtbar bleiben und davon leben können will, muss heute sportlich und ­medial entsprechen. Die Vorstellung vom un­beschwerten Athletendasein mit „Train, eat, sleep, repeat“ ist ein nettes Klischee; in Wahrheit sind Spitzensportler 2025 Content-Kreateure, Marketingleiter, PR-Agenten in eigener Sache. Karrieren im Sport funktionieren wie Start-ups – entweder kommen mit dem Erfolg Investoren (Sponsoren) oder eben nicht, dann bleibt die sportliche Laufbahn ein leiwandes Leben auf Zeit, aber von der Hand in den Mund.

Marcel Hirscher and Max Franz seen at the Wings for Life World Run App Run in Scheffau, Austria on May 4, 2025. // Christoph Handl for Wings for Life World Run // SI202505040547 // Usage for editorial use only //
Marcel Hirscher fühlt sich in der Natur wohl © Red Bull Content Pool

Die Sport-Marktlogik folgt nicht der Inspira­tionskraft von Athleten, sie folgt ihren eigenen Algorithmen. Trabrennfahrer fahren schnelle Runden, Formel-1-Piloten auch. Ski-Bergsteiger hecheln auf Gipfel – Ski-Weltcupsieger von dort ins Tal. Landhockeyspieler schießen Tore wie Fußballer. Wir sehen: Persönlichkeit, Exzellenz, Trainingsfleiß sind nicht die eigentlichen Kate­gorien, sondern Kommerzialisierbarkeit und ­Skalierbarkeit einer Sportart.

Klar, das weiß man als Athlet von vornherein – und trotzdem folgen so viele ihrer Passion, auch wenn sie nicht Golf oder Tennis heißt. Sie tun das, wovon alle träumen: ein Leben nach ­eigenem Entwurf führen, so gut es die jeweiligen Bedingungen zulassen.
Vielleicht ist gerade das der große, noch nicht ansatzweise genützte Hebel zur Zukunft des Spitzensports: seine Werte zur Währung zu machen statt die Währung zum Wert. Vielleicht braucht es einen neuen Gesellschaftsvertrag, wie wir Vorbildwirkung und Transferchancen des Sports besser nützen können als nur zur Massenunterhaltung. Beispiel Wings for Life World Run: Seine Idee „Running for those, who can’t“ macht ihn zur größten Laufveranstaltung der Welt.

Spitzensport als Inspirationsquelle

Der Spirit dieses Events ist in Worten nicht zu beschreiben, weil weder Namen noch Leistungen zählen. Wer mitmacht, hat schon gewonnen, weil er Teil eines globalen Teams für die Heilung von Querschnittslähmung ist. Immer mehr Initiativen folgen dieser Grammatik, Spitzensport nicht nur als kommerziellen Selbstzweck und Werbeplattform zu interpretieren, sondern als Inspirationsquelle im Puls der Welt, die das Gute vermehrt.

„Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern“, sagte Nelson Mandela. Ein universaler Satz über die Sinnstiftung von Sport. Sie beginnt im Privaten – nichts ist für die eigene Gesundheit und Lebensqualität förderlicher – und endet im Verbindenden zwischen Ländern, Kontinenten und Kulturen. Sport inspiriert, in Bewegung zu kommen und zu bleiben – körperlich, geistig, gesellschaftlich. Sport darf ruhig diese bunte Bühne bleiben – und wird hoffentlich noch mehr zu einer Brücke werden.