Nur wenige Meter trennen das neue Heim vom alten, die frisch bezogene Dachgeschosswohnung vom Elternhaus im weststeirischen Frauental. Julia Scheib kehrte unlängst zurück zu ihren Wurzeln – auch wenn sie ihnen nie so wirklich den Rücken gekehrt hatte. Anders als die meisten Stars im alpinen Ski-Zirkus hat die 26-Jährige ihre Basis nach wie vor in der Weststeiermark. „Ich bin hier aufgewachsen und fühle mich daheim. Wenn ich zu lange in Tirol bin während mancher Rennen, mit den Bergen links und rechts, dann ist das überhaupt nicht meins. Deshalb freue ich mich immer wieder, wenn ich heimkomme, in diese hügelige Landschaft. Da hole ich mir dann wieder den Hunger.“

Apropos Hunger. Dieser wird innerhalb der neuen vier Wände vom Skistar selbst gestillt. Das Kochen ist eine große Leidenschaft, die Küche bis ins letzte Detail von Scheib selbst geplant – wie die restliche Wohnung auch. Wie auf der Skipiste wird hier nichts dem Zufall überlassen. Die Suche nach den richtigen Bodenfliesen dauerte da schon einmal länger als so manche Skisaison, weshalb es das kulinarische Reich locker mit einem aus einem Hochglanzmagazin aufnehmen kann. „Ich freue mich extrem, wenn ich endlich Freunde einladen kann, um gemeinsam zu kochen. Da lassen wir es dann krachen, ganz bestimmt.“ Auf den Teller kommt dann „italienisch oder asiatisch“, versichert Scheib, obwohl die ersten Versuche in Sachen Kulinarik noch traditionell österreichische waren. „Ich habe als Kind viel Zeit mit meiner Oma verbracht, egal ob in der Küche oder im Garten. Die Weisheiten, die sie mir damals beigebracht hat, gehen leider immer mehr verloren. Deshalb hoffe ich, dass ich sie irgendwann der nächsten Generation weitergeben kann“, verrät die leidenschaftliche Köchin.

Julia Scheib, Riesentorläuferin, Steiermark am 31.01.2025
Die Steirerin zog in eine neue Wohnung © Klz / Stefan Pajman

Scheib und das Generationenglück

Draußen hat es an diesem Tag frühlingshafte 10 Grad plus – bei strahlendem Sonnenschein. Zumindest die hohen Temperaturen sind alles andere als perfekte Vorbereitung für die Ski-Weltmeisterschaft in Saalbach-Hinterglemm, richtig? Falsch! „Das ist eine super gute Abwechslung, ein Cut sozusagen, der sicher nicht schlecht ist. Durchgehend auf Spannung oder Ski zu sein ist auch nicht das Richtige.“ Während das Wetter Scheib an diesem Tag also zum Strahlen bringt, sorgten steigende Temperaturen und Schneemangel sowie steigende Kosten für die Konsumenten nicht nur beim Skistar für Bedauern oder gar Fassungslosigkeit. Skisport ist abseits des hochalpinen Raums immer seltener kostendeckend für die Betreiber oder schon gar nicht mehr machbar. Liftschließungen sind die logische Folge. So geschehen auch in der Weststeiermark, wo sich 2015 mit der Einstellung des Skibetriebs auf der Hebalm auch ein Kapitel Ski-Geschichte für immer schloss.

Als Dreijährige hatte Scheib dort ihre ersten Schwünge gezogen, mit dem Skiclub beim Nachtskifahren unvergessliche Momente erlebt. Umso betroffener machte sie das Aus: „Dieser Platz hat einen unglaublichen Stellenwert für mich. Ich habe dort so viele Stunden verbracht und mich zu der Skifahrerin entwickelt, die ich jetzt bin. Es wird mir bis ans Lebensende wehtun, dass es dieses Skigebiet nicht mehr gibt.“ Generell befürchtet die Weststeirerin, dass es in Zukunft wohl kaum noch „Ski-Exoten“ wie sie aus niedriger gelegenen Regionen des Landes im Weltcup geben wird: „Und es tut mir fast weh, dieses Faktum laut aussprechen zu müssen. Ich habe definitiv noch Glück gehabt, zu einer Generation zu gehören, wo Skifahren auch in unseren Breiten noch möglich war.“

Dankbarkeit und Ehrgeiz

Doch nicht nur klimatisch wird es immer schwieriger, junge Menschen für den Skisport zu begeistern. „Ich habe unlängst beim Training in Südtirol mit einem Vater von vier Kindern gesprochen. Das waren alle talentierte Skifahrer, aber irgendwann hat das Geld nicht mehr gereicht.“ Ein Moment, an dem der Frauentalerin abermals bewusst wurde, wie viel Hingabe und Opferbereitschaft der Eltern einer erfolgreichen Profikarriere vorangestellt ist. Im Hause Scheib sind Mama Sylvia und Papa Heribert nicht nur die größten Fans ihrer Julia, sondern sie waren auch die wichtigsten Wegbereiter, wie sie sagt: „Ich habe ihnen alles zu verdanken. Sie haben so viel auf sich genommen. Umso schöner ist es, wenn ich ihnen jetzt etwas zurückgeben kann.“

Etwas zurückgeben, das ist auch Scheibs Plan bei der WM in Saalbach. Wer die Junioren-Weltmeisterin im „Riesen“ von 2018 kennt, weiß, dass „Dabei sein ist alles“ für die ehrgeizige Steirerin kein Motto ist. Medaille oder nichts – das ist die Devise. Allein diese Einstellung zeigt, wieso sie mit ihrer ehrlichen Art nicht nur rot-weiß-rote Fans begeistert. „Ich war schon immer ein Fan davon, Sachen direkt und geradlinig anzusprechen und finde das auch bei meinem Gegenüber wichtig. Wenn man sich danach in die Augen schauen kann, ist alles gut. Das ist auf der Skipiste und im echten Leben so.“ Deshalb scheut die leidenschaftliche Techno-Liebhaberin nicht vor Kritik zurück, wenn ihr etwas nicht gefällt. So geschehen auch in Kranjska Gora, als sie sich über fehlendes Training auf eisigem Untergrund beschwerte. Innerhalb des ÖSV brachte ihr das nicht nur Lob ein, aber: „Ich bin mit dieser Aussage zu 100 Prozent im Reinen. Es gehörten Dinge angesprochen. Immer alles schönzureden, ist uninteressant. Für mich war es damals einfach zu wenig.“

GEPA-24051234140 - GRAZ,AUSTRIA,24.MAI.12 - SPORT DIVERS, SPORTHILFE, SKI ALPIN - Galanacht des Sports, Sportlerwahl des Landes Steiermark. Bild zeigt Julia Scheib (AUT) und Lindsey Vonn (USA). Keywords: Urkunde, Nachwuchssportler des Jahres. Foto: GEPA pictures/ Markus Oberlaender,sportler des jahres
2012: Julia Scheib und Lindsey Vonn auf der steirischen Galanacht des Sports © GEPA

Von der Gala auf die Piste

Zu wenig Einsatz auf der Piste kann man Scheib ebenso wenig vorwerfen, wie abseits davon – vor allem mit einem Blick auf die Verletzungshistorie der Weststeirerin. Zwei Kreuzbandrisse, eine Corona-Erkrankung und das Pfeiffersche Drüsenfieber warfen sie immer wieder zurück. Vor allem ihr Knie wurde dabei so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass manche Physiotherapeuten, bei ihrem Comeback von einem „Wunder“ sprachen. Scheib kann das verstehen: „Es war wirklich zach für mich. Wenn du nicht mehr einkaufen gehen kannst, weil das Knie so schmerzt, oder aufgrund der Schwellung nicht einmal auf dem Rad trainieren kannst, ist das krass.“

Die lange Verletzungshistorie teilt sie mit ihrem großen Vorbild: Lindsey Vonn. Die US-Amerikanerin kehrte in dieser Saison mit einer Teilprothese im Knie zurück in den Weltcup. Zu aktiven Zeiten begeisterte die 82-fache Weltcup-Siegerin nicht nur auf den Skipisten, sie bezauberte auch abseits davon. So geschehen auch 2012 in Graz, als Vonn als Stargast der steirischen Gala-Nacht des Sports mit der frisch gekürten steirischen Nachwuchssportlerin des Jahres posierte: Julia Scheib. Spätestens seit diesem Moment ist die erfolgreichste Speed-Fahrerin aller Zeiten Scheibs Idol – und zugleich ihre Heldin. „Trotz der vielen negativen Stimmen rund um ihr Comeback hat sie ihr Ding durchgezogen, ist gute Rennen gefahren und sich selbst treu geblieben. Das zeichnet Legenden aus.“

Im Video: Wordrap mit Julia Scheib