Wie sich die diesjährige Tour de France mit einem Wort charakterisieren lässt? Unberechenbarkeit. Kaum ein Tag kommt ohne Überraschungen aus. Vor der 12. Etappe zog etwa Ex-Weltmeister Peter Sagan verletzungsbedingt zurück. Somit ist der Kampf ums Grüne Trikot vorzeitig verloren für Bora-Hansgrohe, wo der Slowake vor dem Abschied stehen soll. Und auch während der Etappen kommt das Peloton nicht und nicht zur Ruhe. Die große Nervosität ebbte bisher auf den Flachetappen nicht ab – wie zuletzten der Abschnitt nach Nimes bewiesen hatte.

Viele Attacken zerrissen das Feld vom Start weg. „Die nächsten Tage werden aufgrund des starken Windes ziemlich schwierig“, prognostiziert etwa Patrick Konrad, der beste Österreicher im Gesamtklassement (29. Platz, +57:12 Min. Rückstand). „Als Helfer muss man jedes Korn sparen und für die Schlüsselstellen bereit sein.“

Trotz seines Sturzes auf der allerersten Etappe fühlt sich der 29-jährige Niederösterreicher wohl. „Ich wurde in den Tagen danach vom Team zurückgehalten, um mich zu erholen.“ Resultat? „Ein siebenter Platz auf der sechsten Etappe und auch auf dem Weg nach Tignes schaffte ich es in die Fluchtgruppe. Da erhielt ich aber die Stallorder, auf Wilco Kelderman zu warten.“ Der Niederländer hat hinsichtlich Gesamtklassement die besten Chancen bei Bora-Hansgrohe.

Für Konrad steht das Große und Ganze natürlich über allem. Dennoch rechnet sich der amtierende österreichische Meister Chancen aus, auf eigene Kappe zu fahren. „Dann muss aber wirklich alles stimmen“, gibt Konrad zu bedenken. Und wieder spielt Unberechenbarkeit eine Rolle. „Manchmal schafft man es leichter in die Spitzengruppe. An anderen Tagen investiert man extrem viel vergebens. Aber ein Etappensieg ist ganz sicher möglich“, hofft der Bora-Profi.

Wie viele der Bergspezialisten hat sich auch Konrad das Streckenprofil im Gebirge detailliert zu Gemüte geführt. Mit Lokalaugenschein in den Pyrenäen, wo Georg Totschnig 2005 den letzten rot-weiß-roten Etappensieg gefeiert hatte. „Wir waren auf Trainingslager in Andorra. Ich habe damals die Gelegenheit natürlich gleich genützt.“ Bereits am Sonntag, also unmittelbar vor dem Ruhetag, könnte die Stunde des Kletterers schlagen. „Ich habe mir natürlich alle Bergetappen näher angesehen. Doch die 15. Etappe (von Ceret nach Andorre-La-Vieille) kenne ich genau.“

Allerdings: „An so einem Tag muss wirklich alles passen.“ Klar ist, dass Konrad jedenfalls über genügend Erfahrung für solche Momente verfügt: „Ich bin schon einige Grand Tours gefahren. Da weiß man bereits, was auf einen zukommt. Und mein Körper kann mit solchen hohen hohen Belastungen gut umgehen.“ Das muss er auch.

Nächste Woche warten Etappenziele auf dem Col du Portet, tags darauf muss nach dem berühmten Col du Tourmalet noch ein 13 Kilometer langer, schwerer Schlussanstieg nach Luz Ariden bewältigt werden. Und da brennt die Frage: War die leichte Schwäche von Tour-Spitzenreiter Tadej Pogacar auf dem Mont Ventoux bloß ein kleiner Ausrutscher? Soviel zum Thema Unberechenbarkeit.