„Wenn wir in Singapur auch gewinnen, dann denke auch ich noch einmal darüber nach“, sagte Red-Bull-Motorsportkoordinator Dr. Helmut Marko in Baku auf die Frage, ob Max Verstappen vielleicht doch noch einmal in den WM-Titelkampf eingreifen könne. Für den Titelverteidiger liefen die letzten beiden Rennen ja ganz nach Wunsch. Sowohl auf dem Highspeed-Kurs von Monza als auch in Baku schaffte es der Niederländer, erst die Pole-Position und dann den Sieg zu holen. Damit konnte er die Lücke zur WM-Spitze verringern: Sein Abstand zum WM-Zweiten Lando Norris beträgt 44 Punkte, der Rückstand auf den WM-Leader Oscar Piastri beläuft sich auf 69 Punkte.
Auch McLaren-Teamchef Andrea Stella betonte ja schon seit Wochen gebetsmühlenartig: Mit Verstappen ist immer zu rechnen. Wobei bei ihm dabei natürlich auch Taktik dabei ist: Verstappen starkreden bedeute auch den Versuch, Druck von seinen eigenen Fahrern zu nehmen, die sich ja zuletzt immer wieder ein paar kleinere oder größere Fehler leisten.
Mehr zumindest als Verstappen, der immer wieder zeigt: Stimmt das Umfeld einigermaßen, wie jetzt wieder unter dem neuen Teamchef Laurent Mekies, ist das Auto auch nur halbwegs konkurrenzfähig, dann kann der gerade 28 Jahre jung gewordene immer noch ein bisschen zulegen, mit seinem überragenden Fahrtalent und seiner Cleverness und Nervenstärke neue Maßstäbe setzen.
Die große Frage jetzt: Hält der Red-Bull-Aufwärtstrend auch in Singapur an? Bis jetzt tat man sich dort ja fast immer schwer, es ist auch der einzige Kurs im derzeitigen Kalender, auf dem Verstappen noch nie gewonnen hat. „Normalerweise liegen uns Strecken wie Singapur mit viel Abtrieb und hoher Reifenabnutzung nicht so gut. Das hat sich in Zandvoort gezeigt“, war er deshalb im Vorfeld auch vorsichtig. „ Aber wir gehen mittlerweile neue Wege mit dem Setup. Das Ziel ist es, auch auf diesem Typ Strecke besser auszusehen.“
Nach den bisherigen Kriterien wäre der Stadtkurs eindeutig McLaren-Land: Viel Abtrieb, hohe Reifenabnutzung, viele Bodenwellen, heißes Wetter - das alles spielt normalerweise in die Karten der Papaya-Renner. Deshalb gilt erst recht: Sollte Verstappen auch hier mithalten, vielleicht sogar Punkte gutmachen können, dann wird der Druck auf Piastri und Norris weiter zunehmen – beide hatten ja in den ersten beiden freien Trainings in Singapur schon wieder leichten Mauerkontakt, allerdings ohne größere Folgen.
Das gibt auch Lando Norris zu: „Mit Max musst du immer rechnen. Ich würde sagen, seine Chancen sind auf jeden Fall größer als null Prozent.“ Auch „neutrale“ Fahrerkollegen mochten in Singapur Titelchancen für Verstappen nicht ausschließen. Esteban Ocon wollte sich nicht auf eine Prozentzahl festlegen, meinte aber: „Wirf Max einen Köder hin, und er greift danach. Ich wette, er hat wieder Blut geleckt. Und normalerweise nutzt er jede Gelegenheit, die sich ihm bietet.“
Charles Leclerc wurde konkreter. „Ich sage 20 Prozent.“ Seine Erklärung: „Ferrari, Red Bull und Mercedes haben sich über den Winter ungefähr gleich viel gesteigert. Nur McLaren hat einen größeren Sprung gemacht. Seitdem rätseln alle, wie McLaren das geschafft hat. Es hat den Anschein, als hätte Red Bull mit seinem Upgrade in Monza einen Teil des Geheimnisses entschlüsselt.“
Alexander Albon gab Verstappen eine 15-prozentige Chance. Verstappens wahrscheinlich neuer Teamkollege für 2026, Isack Hadjar, lag mit 10 Prozent noch etwas tiefer, schaute dabei aber in erster Linie auf die nackten Zahlen: „Das ist bei dem riesigen Punkterückstand, den Max hat, schon viel.“ George Russell meinte mit einem Augenzwinkern: „Ich gebe ihm 100 Prozent. Weil es Max ist.“ Das war allerdings vor allem dazu gedacht, den auf der FIA-Pressekonferenz neben ihm sitzenden Lando Norris ein bisschen zu ärgern. Der lästerte auch prompt zurück: „Da spricht ein guter Freund von Max“ - dass der und Russell alles andere als ein gutes Verhältnis haben, ist ja bekannt.
Max Verstappen selbst denkt „von Rennen zu Rennen. Wir haben nichts zu verlieren und versuchen das Beste aus unseren Möglichkeiten rauszuholen. McLaren hat bis jetzt diese Meisterschaft dominiert. So etwas ändert sich nicht über Nacht.“ Und meint mathematisch-logisch: „Ich gebe mir 50 Prozent. Entweder es klappt oder es klappt nicht.“
Die ersten Trainingseindrücke am Freitag sahen auf jeden Fall schon einmal vielversprechend aus – der neue modifizierte Frontflügel am Red Bull scheint zu funktionieren. „Unser bester Freitag seit langem in Singapur“, konstatierte Red-Bull-Motorsportkoordinator Dr. Helmut Marko. „Grundsätzlich sind die Ingenieure und Max mit dem Auto zufrieden. Aber es wird entscheidend sein, im Qualifying die letzten entscheidenden Hundertstel herauszuquetschen.“