Bei der Zusammenstellung einer Fußballmannschaft denken die meisten zuerst an Positionen, taktische Grundordnung oder Spielanlage. Was jedoch selten in die Gleichung eines funktionierenden Teams einbezogen wird, ist die Rollenverteilung. Im Laufe meiner Karriere war ich Teil vieler Mannschaften. Dabei habe ich miterlebt, dass Teams, die in entscheidenden Momenten über sich hinauswachsen, unterschiedliche Charaktere brauchen. Den Clown, der mit seinem heiteren Gemüt für gute Stimmung sorgt. Den Athleten, der körperliche Maßstäbe setzt. Oder den zurückhaltenden, aber verlässlichen Kollegen, der im richtigen Moment für Ruhe und Ordnung sorgt. Wenn wir von einem „zusammengewachsenen Haufen“ oder einem „außergewöhnlichen Teamspirit“ hören, bedeutet das meist, dass jeder Spieler in der Kabine eine Rolle gefunden hat, die zu seiner Persönlichkeit passt – und so zum Funktionieren der Gruppe beiträgt.
Die einzige Rolle, die hin und wieder nach außen sichtbar wird und deren Bedeutung gerne diskutiert wird, ist die des Führungsspielers. Ich musste in meiner Karriere selbst lernen, dass Führungsspieler kein Status ist, den man durch Alter, Erfahrung, einer Kapitänsschleife am Arm oder verbale Rundumschläge erhält. Es ist vielmehr eine Haltung, die durch viele kleine Handlungen entsteht und wirkt. Weltklassetrainer Carlo Ancelotti bringt es in seiner Biografie „Quiet Leadership“ treffend auf den Punkt: Er unterscheidet zwischen Leadern, die durch die Qualität ihrer Arbeit führen, und jenen, die als gutes Beispiel vorangehen.
Liendl ging spielerisch voran, andere durch Fleiß
Wenn ich an die erfolgreichste Zeit meiner Karriere beim WAC zurückdenke, erkenne ich genau das. Die herausragenden fußballerischen Qualitäten von Michael Liendl machten in vielen wichtigen Spielen den Unterschied, während Kollegen wie Mario Leitgeb oder Michael Sollbauer in jedem Training mit voller Intensität vorangingen und so einen hohen Standard setzten. So führten uns diese Spieler immer wieder an unser Limit, was nötig war, um große Erfolge zu erzielen.
Natürlich sind Führungsspieler auch intern ein Sprachrohr, und das kann unangenehm werden. Probleme anzusprechen oder unbequeme Wahrheiten zu überbringen, ist selten gern gesehen. Das Mitteilen von teaminternen Bedürfnissen und Entwicklungen an Trainer, Sportdirektoren oder Präsidenten ist ein Balanceakt, der leicht schiefgehen kann – wie ich es selbst beim WAC einmal erlebt habe.
Nicht jeder kann zum Führungsspieler werden
Führungsspieler zu sein ist keine einfache, manchmal eine undankbare, aber sicher keine delegierbare Aufgabe. Nicht jeder kann in entscheidenden Momenten hervortreten, und nur wenige gehen täglich als verlässliches Beispiel voran. Gepaart mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ergibt sich ein anspruchsvolles charakterliches Profil, das sicher nicht alle Träger einer Kapitänsbinde oder lautstarke Wortführer besitzen.