„Um ehrlich zu sein, habe ich die Verletzung völlig unterschätzt.“ Anna Gasser musste notgedrungen feststellen, dass eine Schulterblessur äußerst unangenehm und langwierig sein kann, zudem war die Diagnose ein Schock. „Ich wusste auch nicht wirklich, was auf mich zukommt. Die Reha war teilweise kräftezehrend“, gewährt Österreichs Snowboard-Superstar ungefilterte Einblicke in ihre Gefühlswelt.

Sie ist praktisch gezwungen worden, sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzen. „Es ist schlimm, wenn du so eingeschränkt bist. Du bist unselbstständig, kannst ganz normale Alltagssachen nicht bewältigen, wie beispielsweise Autofahren. Das Schlafen fällt dir nicht leicht und ich konnte nicht einmal schwimmen. Ich liebe Action, das war eine Challenge, Ruhe geben zu müssen. Der Sommer war echt hart. Es war ein unspektakulärer Freizeitunfall und deshalb schwer zu akzeptieren, dass es bei so etwas auch passieren kann. Anfangs dachte ich nicht, dass es nicht so schlimm sein wird und ich wollte es nicht realisieren. Die Schulter ist halt ständig rein- und rausgesprungen.“

Dementsprechend habe sie ein paar Tage damit verbracht, sich einzugestehen, dass die Operation die beste Option gewesen ist. Doch so eine Zwangspause, noch dazu vor Olympia, habe innerlich immens geschmerzt. „Alle haben trainiert. Auf der anderen Seite denke ich mir, dass ich während der WM ziemlich müde und ausgelaugt gewesen bin, vielleicht habe ich diese Saison nach hinten hinaus mehr Energie als andere. Dass ich zuletzt den Kopf ausschalten konnte, hat nicht geschadet“, verdeutlicht Gasser und macht kein Geheimnis daraus, „dass ich darüber nachgedacht habe, wenn es nichts mehr mit Olympia wird. Aber die Welt hätte sich weitergedreht. Zurückblickend muss ich sagen, hatte ich bei Großevents auch das Quäntchen Glück auf meiner Seite. Darüber bin ich extrem dankbar, denn etwas sehr Kleines kann im Sportlerleben viel verändern.“

„Oft muss etwas passieren, um es zu kapieren“

Jener Gedanke, sich erneut zurückkämpfen zu müssen, war präsent und auch die Frage nach dem Warum schwirrte der Doppel-Olympiasiegerin im Kopf herum. „Es gab Phasen, in denen ich dachte, wie lange dauert das jetzt alles noch, nur irgendwann kommt der Moment, dass du die Situation gerade nicht ändern kannst.“

Auf den Trainingsrückstand angesprochen, meint die Doppel-Weltmeisterin, dass sie aufgrund ihrer Routine wieder schnell an ihr Niveau herankommen kann, aber „mir persönlich tut die fehlende Trainingszeit sehr weh, weil ich noch schwierigere Tricks benötigen werde, wenn ich bei Olympia eine Medaille machen will. Ich werde einen 12er und 14er brauchen“, warnt Gasser dennoch vor zu viel Perfektion, „denn etwas erzwingen zu wollen oder zu verbissen zu sein, geht nach hinten los und da gehören auch Auszeiten dazu. Oft muss etwas passieren, um das zu kapieren.“

Vincent Kriechmayr und Anna Gasser bei der Präsentation der Einkleidung des Austria Ski Teams
Vincent Kriechmayr und Anna Gasser bei der Präsentation der Einkleidung des Austria Ski Teams © APA

Gasser erfinde sich nach wie vor neu, da es im Freestylesport gefühlt keine Grenzen gibt. „Viel ist oft nicht genug. Der Spruch, wenn man aufhört, besser sein zu wollen, ist man bald nicht mehr gut, trifft es auf den Punkt.“ Extratraining ist dahingehend angedacht und auch, dass sie die ersten Bewerbe definitiv auslassen wird. „Vielleicht steige ich sogar erst Anfang 2026 ein. Auch deshalb, da die großen Events ab Jänner stattfinden. Ein Big Air ist im Dezember in den USA. Da überlege ich noch, ob ich ihn als Training mitnehme. Jetzt bin ich echt schon in einem Alter, wo vieles zacher wird.“

Gasser weilt aktuell in Hintertux

Nichtsdestotrotz lässt die Millstätterin das Risikomanagement vor der Olympiasaison nicht los – Vorsicht ist geboten: „Wenn man das Gefühl hat, etwas aufholen zu müssen, kann es gefährlich werden. Das ist ein großer Fehler, den man vermeiden sollte, denn sobald man etwas zerreißen will, geht‘s meistens schief. Ich muss bei meinem Plan bleiben, egal wie weit andere sind. Das habe ich inzwischen, oft auf die harte Tour, gelernt“, hört die 34-Jährige schließlich auf ihren Instinkt.

Ihre Familie, Partner Clemens Millauer sowie enge Freunde haben die 13-fache Weltcupsiegerin und dreifache österreichische Sportlerin des Jahres in beschwerlichen Zeiten aufgefangen. „Es ist so schön, wenn man sich nie allein fühlt. Ich schätze es enorm, wer für mich da ist. Du merkst in solchen Phasen sehr schnell, wer tatsächlich hinter einem steht. Wenn du länger ausfällst, bist du irgendwie nicht mehr dabei“, weilt die leidenschaftliche Freeriderin aktuell im Trainingslager in Hintertux, wobei sie sprichwörtlich „noch auf dem Boden bleiben muss, aber fahren darf ich schon“, erklärt die Überfliegerin und spricht zum ersten Mal direkt aus, wie sehr sie sich nach dem Karriereende „auf eine eigene Familie“ freut. Und eines stellt sie ausdrücklich klar: „Ich lasse mich nach Olympia nicht mehr stressen. Mal schauen, was passiert.“